Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

216 8 24. Die staatsrechtliche Natur des Kaisertums. 
2. Der KaiseristnichtPräsident in dem Sinne, wie dies 
Wort in demokratischen Staaten genommen wird, d. h. Beamter 
des Reiches. Er wird nicht von dem Souverän des Reiches ernannt, 
er ist nicht absetzbar, er ist nicht verantwortlich; er ist niemandes 
Untertan; er hat die Präsidialrechte kraft eigenen Rechtes. 
Auch eine »Teilung der Zentralgewalt« unter die Gesamtheit der 
Mitglieder und die Präsidialmacht, welche v. Martitz, Betrachtun- 
gen S. 48, annimmt, kann nicht zugegeben werden. Eine Teilung der 
Souveränität ist begrifflich unmöglich’); nur die staatlichen Funktionen 
können an verschiedene Organe verteilt sein. 
Man darf daraus, daß der Kaiser weder Souverän noch Beamter 
des Reiches ist, nicht mit Held?) schließen, daß das deutsche Kaiser- 
tum etwas Unfertiges und Widerspruchvolles ist, noch mit v. Mohl 
ganz davon absehen, den Begriff des Kaisertums theoretisch festzustel- 
len und zu konstruieren 3). 
Diese Feststellung des Begriffes läßt sich gewinnen, wenn man die 
Tatsache im Auge behält, daß der Kaiser Mitglied des Reiches 
ist. Er kann nicht Beamter sein, wie der Präsident einer Republik, 
weil er Mitsouveränist, und er kann nicht Monarch sein, weil 
er nicht alleiniger Souverän ist. Aber er ist kein Mitglied des 
Reiches lediglich wie die übrigen Bundesfürsten, sondern ein bevor- 
rechtetes, ein mit weitreichenden Sonderrechten‘) ausge- 
stattetes Mitglied. Das Recht auf das Bundespräsidium ist ein Sonder- 
recht des Königs von Preußen, nur daß es sich nicht auf die Kompe- 
tenz des Reiches gegenüber der Einzelstaatsgewalt bezieht, wie die süd- 
deutschen Reservatrechte, sondern auf den Anteil an der Tätigkeit des 
Reiches selbst. Es ergibt sich hieraus eine Reihe der wichtigsten 
Rechtssätze, sowohl in bezug auf das Subjekt als auf den Inhalt der 
kaiserlichen Rechte. 
Vor allem ist klar, daß die Stellung des Kaisers im Reiche durch 
1) Aehnlich wie v. Martitz auch Fischer.a.a. O. S.19ff., 41, dessen Ausfüh- 
rungen mir völlig verfehlt scheinen. 
2) Verf. des Deutschen Reichs S. 86—102, bes. S. 98. 
38) Deutsches Reichsstaatsrecht 282, 289. Ebenso Zorn in v. Holtzendorffs 
Rechtslexikon II, S. 426. Er fügt hinzu: „Staatsrechtlich ist somit unzweifelhaft die 
Stellung des Königs von Preußen die erhabenere; sie ist eine souveräne Würde 
eigenen Rechts, während die heutige deutsche Kaiserwürde nur eine Ehren- und 
Quasiamtswürde Kraft delegierten Rechtes ist“. Wie reimt sich dies zu der von Zorn 
so lebhaft verteidigten Theorie, daß die deutschen Einzelstaaten (also auch Preu- 
Ben) durch die Reichsgründung untergegangen sind, daß sie als Neuschöpfun- 
gen des Reiches angesehen werden müssen, daß alle Hoheitsrechte derselben von der 
souveränen Gewalt des Reiches abgeleitet (delegiert) seien, daß ihnen die Eigenschaft 
von Staaten im Rechtssinne nicht zukomme? vgl. oben S. 75fg. Bornhak a.a.0. 
vergleicht die Stellung des deutschen Kaisers mit der Stellung des Monarchen in 
parlamentarischen Staaten nach belgischem Muster. Dieser Vergleich — denn mehr 
ist es nicht — hinkt und zwar besonders stark. 
4) jura singularia, nicht jura singulorum. Siehe oben S. 117 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.