238 8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate.
tage am 27. März 1867'). Die Souveränität der einzelnen Staaten ist
in Wahrheit — wie oben ausgeführt worden ist — ein Anteil an der
Souveränität des Reiches, und dieser Anteil wird ausgeübt durch die
Teilnahme der einzelnen Staaten am Bundesrate. Jedes Mitglied des
Reiches hat als solches ein Anrecht auf Teilnahme am Bundesrate,
und andererseits ist die Mitgliedschaft am Bunde das unerläßliche
Fundament für die Teilnahme am Bundesrate. Hieraus folgt:
1. Der Kaiser als solcher, d.h. als Organ des Reiches, hat
nicht die Befugnis, Mitglieder des Bundesrates zu ernennen oder in
irgend einer anderen Art an der Tätigkeit des Bundesrates teil zu
nehmen; nur der König von Preußen als Mitglied des
Reiches hat einen Anteil am Bundesrat. Die Reichsverfassung spricht
zwar an mehreren Stellen (Art. 5, Abs. 2; Art. 7, Abs. 3; Art. 37) von
einer »Stimme des Präsidiums« oder einer »Präsidialstimme«, und im
Art. 8 von einer Vertretung des »Präsidiums« in den Bundesratsaus-
schüssen; allein der Bundesrat hat nach Art. 6 der Verfassung keine
anderen Mitglieder als »Vertreter der Mitglieder des Bundes« und außer
den Stimmen, welche »Preußen« nach Art. 6 im Bundesrate führt, gibt
es keine dem Kaiser zustehende Stimmen. Die Präsidialstimme ist
sonach nicht die kaiserliche Stimme, sondern die preußische?)
Nach dem Art. 7, Abs. 2 der Reichsverfassung ist »jedes Bundes-
glied« befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, also
nur der König von Preußen, dagegen nicht der Kaiseralssol-
cher. Mit der Ausbildung der Gesetzgebung und Verwaltung des
Reichs wurde dieser Grundsatz undurchführbar. Den Regierungen der
Einzelstaaten fehlen in denjenigen Angelegenheiten, welche von Reichs-
behörden verwaltet werden, geeignete Organe zur Bearbeitung dieser
Sachen, insbesondere zur Vorbereitung und Feststellung von Gesetzes-
vorschlägen. Den Entwurf zum Reichshaushaltsetat kann nicht das
preußische Ministerium, sondern nur die Reichsregierung aufstellen.
Die Fortführung, Ergänzung, Verbesserung der Reichsgesetzgebung
und die Vorbereitung der zur Ausführung zu erlassenden Bundesrats-
verordnungen kann nur in den Reichsämtern geschehen, welchen die
Bearbeitung dieser Materien obliegt und welche mit den dazu geeig-
neten Arbeitskräften versehen sind. Aus diesen Gründen werden dem
Bundesrat zahlreiche Vorlagen unterbreitet, welche nicht im Schoße
1) Stenogr. Bericht S. 388.
2) Fürst Bismarck im Nordd. Reichstage am 16. April 1869: „Die Instruktion
des preußischen Bevollmächtigten wird beschlossen in dem preußischen Ministerium
ebenso wie die des sächsischen Bevollmächtigten im sächsischen Ministerium; letztere
geht aus von Sr. Majestät dem Könige von Sachsen, und die meinige in letzter In-
stanz nichtvon dem Präsidenten desBundes,sondern von Sr.Ma-
jestätdem Könige von Preußen.“ Wenn daher die preußischen Mitglieder
zum Bundesrate „von Seiner Majestät dem Kaiser, König von Preußen“ ernannt
werden, so ist der Gebrauch des Kaisertitels an dieser Stelle nicht dem juristischen
Sachverhältnis entsprechend. Vgl. auch Hänel, Studien II, S. 60.