8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 249
4. Die Ausübung der den Einzelstaaten zustehenden Rechte im Bun-
desrate bedarf noch nach einer anderen Richtung einer näheren juristi-
schen Bestimmung. Die Bundesratsmitglieder sind »Vertreter« der
Einzelstaaten, »Bevollmächtigte« derselben. In der rechtswissenschaft-
lichen Literatur herrschte bis in die neuere Zeit eine verwirrende
Identifizierung von Vollmacht und Mandat oder Auftrag. Die Voll-
macht oder Vertretung bezieht sich auf das Verhältnis zu Dritten, auf
die Fähigkeit des Stellvertreters, Willenserklärungen mit rechtlicher
Wirkung für den Prinzipal abzugeben; der Auftrag betrifft die innere
Seite, das Rechtsverhältnis des Mandatars zum Auftraggeber; die
Uebernahme des Auftrages begründet die Pflicht des Beauftragten,
für den Auftraggeber und seinem Willen gemäß Rechtsgeschäfte zu
erledigen. Ä
In der Stellung der Bundesratsbevollmächtigten sind ebenfalls diese
beiden Rechtsbeziehungen zu unterscheiden. Dem Reiche und den
übrigen Bundesgliedern gegenüber kommt die Vollmacht und nur sie
allein in Betracht; gegenüber dem Heimatsstaate der Auftrag. Die
Vertretungsbefugnis oder Vollmacht ist lediglich die formelle Er-
mächtigung, daß der Bevollmächtigte die Stimmc des Staates im
Bundesrat führen soll, ohne darüber Auskunft zu geben, wie er sie
abgeben soll; der Auftrag kann nicht bloß dahin gehen, wie der Be-
vollmächtigte stimmen soll, sondern auch, daß er nicht stimmen,
sich der Abstimmung enthalten soll.
Es ergeben sich aus dieser Unterscheidung folgende Rechtssätze:
a) Der Bundesrat hat das Recht und die Pflicht, die Vollmacht
oder Legitimation seiner Mitglieder zu prüfen!)., Diese Prüfung
erstreckt sich in der Regel nur darauf, daß in einer formell ordnungs-
mäßigen Urkunde die Vertretung des Staates im Bundesrate und die
Führung der Stimmen demjenigen übertragen worden ist, welcher sich
als Bevollmächtigter des Staates geriert. Sie kann aber auch darauf
sich erstrecken, ob die Vollmacht von dem befugten Vertreter des
Staates ausgestellt ist. Falls in einem Bundesstaate etwa mehrere
überhaupt. Hierbei wird außer acht gelassen, daß bei Veränderungen von Verfassungs-
bestimmungen über Sonderrechte zwei verschiedene Willenserklärungen zu-
sammentreffen müssen. Die eine ist die Erklärung der Organe des Reichs, daß die
Verfassung abgeändert werden soll; für die Beschlußfassung des Bundesrats hier-
über sind die Ausführungen Seydels zutreffend. Die andere ist die zustimmende
Erklärung des sonderberechtigten Einzelstaates; dieser Verzicht ist ein Erfordernis,
welches unabhängig von den für die Reichsgesetzgebung geltenden Regeln ist. Es
zeigt sich dies darin, daß der sonderberechtigte Staat im Bundesrat gegen die Ab-
änderung der Verfassung stimmen, nachträglich aber dem vom Bundesrat und Reichs-
tag beschlossenen Gesetz gegenüber auf sein Sonderrecht verzichten kann. Dieser
Verzicht ist dann auch äußerlich und formell von dem Bundesratsbeschluß über die
Verfassungsänderung verschieden; er ist kein Willensakt des Reichs, sondern des
Staats; so z. B. die Zustimmung Bayerns zur Zuständigkeit des Reichsmilitärgerichts.
1) v. PözlS. 112, Note 1; v. Rönnel, S. 204; Zorn I, S. 158; Seydel,
Jahrb. S. 276ff.;, MeyerS$ 123. '