250 & 28. Die Staatenrechte im Bundesrate.
Prätendenten um den Thron streiten oder wenn ein Usurpator des-
selben sich bemächtigt hat, so kann der Bundesrat die sich melden-
den Vertreter dieses Staates entweder sämtlich zurückweisen wegen
nicht gehörig erfolgter Legitimation oder einen von ihnen zulassen
und dadurch implicite den Vollmachtsgeber desselben als den zur
Vertretung des Staates befugten Landesherrn anerkennen !).
Der Reichskanzler als der Vorsitzende des Bundesrates und Mi-
nister des Kaisers prüft die Vollmacht der Bundesratsmitglieder, so-
weit diese Prüfung nicht materielle Rechtsfragen, sondern nur die for-
melle Legitimation betrifft ?).
b) Der Bundesrat hat weder die Pflicht noch das Recht, den Auf-
trag oder die Instruktion seiner Mitglieder zu prüfen). Er hat
nicht darüber zu wachen, daß die Bevollmächtigten ihrer Instruktion
gemäß stimmen, und es hat auf die Wirkung der Abstimmung gar
keinen Einfluß, falls sich etwa herausstellen sollte, daß ein Bevoll-
mächtigter ohne Instruktion oder gar gegen die ihm erteilte Instruk-
tion gestimmt habe*). Die Abstimmung istein Formalakt, dessen
rechtsverbindliche Kraft teils auf der Vollmacht, teils auf der ge-
schäftsordnungsmäßigen Behandlung der Angelegenheit beruht,
dessen Rechtswirksamkeit aber von den Motiven der Abstimmung ge-
löst und ihnen gegenüber selbständig ist. Die Instruktion erscheint
lediglich als ein Motiv für die Abstimmung, und es ist daher für die
Rechtswirksamkeit der letzteren unerheblich, ob die Abstimmung, so
wie sie erfolgt ist, wirklich durch die erhaltene Instruktion gerecht-
fertigt erscheint oder nicht’).
9. Der Anteil der einzelnen Staaten an der dem Bundesrate zu-
gewiesenen Tätigkeit erstreckt sich gleichmäßig für alle Staaten auf
die gesamte dem Bundesrat zustehende Kompetenz. Auch wenn ein
Beschluß des Bundesrates, sei es über eine Gesetzesvorlage, sei es über
eine Einrichtung oder eine Verwaltungsmaßregel, tatsächlich nur einen
Teil des Bundesgebietes oder der Bundesglieder betrifft, so ist doch
die Gesamtheit aller Staaten berechtigt, an der Beschlußfassung teil-
zunehmen. Denn es handelt sich auch bei solchen Angelegenheiten
1) Siehe unten’ $ 29.
2) Bis 1880 wurden die Ernennungen im Reichsgesetzblatt bekannt gemacht, was
mit dem Zweck des letzteren nicht im Einklang stand.
3) Thudichum, Verfassungsrecht S. 102; Seydel S. 133 und Jahrb. S. 277;
WesterkampS.98; v. MohlS. 253; v. Rönnel, S. 201fg.; MeyerS 123;
KliemkeS. 21; Anschütz S. 541; Löning S. 57.
4) Dadurch wird natürlich nicht ausgeschlossen, daß der Bundesrat nicht aus
einem solchen Vorgange Veranlassung nehmen könnte, den gefaßten Beschluß aus
freien Stücken wieder aufzuheben, wofern dies nicht aus anderen Gründen unmöglich
ist. v. MohlS. 254.
5) Dies gilt auch von der im Bundesrat erklärten Zustimmung zur Aufhebung
von Sonderrechten. Siehe oben S. 124g.