8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 267
hervortreten, schließt in gewissem Grade eine Verwaltungsjurisdiktion
in sich, indem der Beschluß ein Urteil darüber enthalten kann, ob
eine Bestimmung eines Reichsgesetzes oder einer Bundesratsverord-
nung richtig oder falsch ausgelegt resp. angewendet worden ist. Ge-
wöhnlich hat ein solcher Beschluß aber nicht die formelle Kraft einer
Entscheidung. Die Angelegenheit, welche Veranlassung zu dem Be-
schluß gegeben, kann längst definitiv erledigt sein oder aus Gründen,
welche mit der vom Bundesrate beschlossenen Gesetzesauslegung in
keinem Zusammenhange stehen, ihre Erledigung finden. Auch er-
folgt dieselbe formell der Regel nach durch die kompetenten Behör-
den des Einzelstaates oder, soweit das Reich die Verwaltung selbst
führt, durch die Zentralverwaltungsbehörden des Reiches. Der Beschluß
des Bundesrates dient den obersten Verwaltungsbehörden eben nur als
Richtschnur'!).
In einzelnen Fällen steht dem Bundesrate oder den Bundesrats-
ausschüssen aber eine formell wirksame, verwaltungsgerichtliche Ent-
scheidung zu.
So bestimmt das Gesetz vom 30. Mai 1873, Art. 4, Abs. 2 (Reichs-
gesetzbl. S. 124) in Beziehung auf das Recht der Festungsstädte, die
für den öffentlichen Verkehr notwendige Erweiterung der Tore und
Torbrücken, soweit ein fortifikatorisches Interesse nicht entgegensteht,
auf Kosten des Reiches zu verlangen:
»Die Entscheidung darüber, ob und welche Erweite-
rungen im Interesse des Verkehrs notwendig und fortifikato-
risch zulässig sind, wird in letzter Instanz durch die vereinig-
ten Ausschüsse des Bundesrates für Handel und Verkehr und
für das Landheer und die Festungen getroffen.«
Ferner hat der Bundesrat die endgültige Entscheidung zu treffen
über Rekurse, welche gegen die Versagung der Genehmigung zu Bauten,
Anlagen u. s. w. in den Reichskriegshafengebieten eingelegt werden,
sowie über Meinungsverschiedenheiten über die Zulässigkeit von Ar-
beiten und Anlagen im oldenburgischen Gebiete des Jadehafens zwischen
dem Marineamt und dem oldenburgischen Staatsministerium ?).
1) Vgl. meine Ausführungen in der DJZ. 1910, S. 910. Ein anschauliches Bei-
spiel liefert folgender Vorgang: In der Bundesratssitzung vom 27. Februar 1871 (Pro-
tokoll 8 48) teilte der Vorsitzende mit, daß zwischen dem Bundeskanzleramt einerseits
und dem Senat zu Bremen andererseits eine Meinungsverschiedenheit darüber obwal-
tet, ob eine in Bremen erlassene, das Betreten von Privathäusern durch Hausierer
verbietende Verordnung mit der Reichsgewerbeordnung im Widerspruch stehe oder
nicht. Auf seinen Antrag wurde beschlossen, den IV. Ausschuß mit der Berichter-
stattung zu beauftragen. Auf den Bericht des Ausschusses beschloß der Bundesrat
am 12. November 1871 (Protokoll 8 553), daß die Verordnung mit den Absichten,
welche zur Feststellung des Titels 3 der Gewerbeordnung in seiner damaligen Fassung
geführt haben, nicht im Einklange stehe. Der Bevollmächtigte für Bremen erklärte
darauf, daß der Senat die Verordnung wieder aufheben werde.
2) Reichsgesetz vom 19. Juni 1883, 8 3 und 5 (Reichsgesetzbl. S. 106, 107).