Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

302 8 33. Die Zuständigkeit des Reichstages. 
zur Vertretung befugten Regierungsorgane erklären kann und daß die 
ganze Frage, ob die Genehmigung des Reichstages erteilt worden ist, 
ob sie überhaupt erforderlich ist, ob sie unter Einschränkungen oder 
unter Gegenzugeständnissen der Regierung zu erlangen ist u. s. w., eine 
innere Angelegenheit der Organe des Reiches bleibt. 
Man muß es der traditionellen Darstellung des konstitutionellen 
Staatsrechts zum Vorwurf machen, daß sie bei Erörterung der Kompetenz 
der Volksvertretung neben der Gesetzgebung die Form der Genehmi- 
gung ganz außer Betracht läßt’), und zwar umsomehr, als der Bereich 
der Anwendung dieser Form ein bedeutender ist. Für das Reichs- 
staatsrecht gehören hierher folgende Fälle: 
1. Die Verträge des Reiches mit fremden Staaten. 
»Wenn dieselben sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach 
Art. 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem 
Abschluß die Zustimmung des Bundesrates und zuihrer Gültig- 
keitdieGenehmigung desReichstageserforderlich. 
Reichsverfassung Art. 11, Abs. 3. Hier tritt die Genehmigung als eine 
dem Mitwirkungsrecht des Reichstages bei der Reichsgesetzgebung voll- 
kommen parallele und auch sachlich gleichartige Form zur Seite. Vgl. 
unten 8 60, 62. 
2. Ein ferneres Gebiet für die Anwendung der Genehmigung lie- 
fern die Verordnungen, wenn der Erlaß derselben den Regie- 
rungsorganen gesetzlich mit der Maßgabe übertragen ist, daß die Ver- 
ordnungen dem Reichstage vorzulegen sind und daß dieselben außer 
Kraft treten oder außer Kraft zu setzen sind, wenn der Reichstag seine 
Genehmigung versagt oder die Aufhebung verlangt. Die Reichsver- 
fassung selbst kennt zwar keine sogenannte Notstandsverordnungen 
nach Analogie des Art. 63 der preußischen Verfassungsurkunde, wel- 
cher die Klausel enthält, »daß dieselben den Kammern bei ihrem 
nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen sind«, 
wohl aber ist in einer erheblichen Zahl von Reichsgesetzen eine Ver- 
ordnungsbefugnis mit Vorbehalt der nachträglichen Genehmigung des 
Reichstages dem Kaiser oder dem Bundesrat delegiert?). Bei diesen 
1) Es beruht dies offenbar darauf, daß in politischer Beziehung beide For- 
men beinahe gleichwertig erscheinen. 
2) Beispiele dafür sind zahlreich. Das erste findet sich bereits in der Gewerbe- 
ordnung von 1869, $ 16; ferner Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872, $1. Die Klausel, 
daß die Verordnungen außer Kraft treten (also ipso jure), wenn der Reichstag die 
Genehmigung versagt, findet sich in dem Verfassungsgesetz für Elsaß-Lothringen vom 
25. Juni 1873, 8 8 (Reichsgesetzbl. S. 162) und im Einführungsgesetz zur Zivilprozeß- 
ordnung 8 6, Abs. 2. Die Klausel, daß die Verordnungen außer Kraft zu setzen 
(also aufzuheben) sind, wenn der Reichstag die Genehmigung nicht erteilt, findet sich 
in der Gewerbeordnung $ 56b, Abs. 2 (Reichsgesetzbl. 1900 S. 895); ferner im Reichs- 
gesetz vom 15. Juli 1879, 8 6 (Reichsgesetzbl. S. 210); Reichsgesetz vom 10. Septem- 
ber 1883, 8 2, Abs. 1 (Reichsgesetzbl. S. 304); Zolltarifgesetz vom 24. Mai 1885, 8 6, 
Abs.2 (Reichsgesetzbl. S. 115); Süßstoffges. v. 7. Juli 1902, 8 6 (Reichsgesetzbl. S. 254); 
Ges. v. 18. Mai 1908, 8 1, Abs. 1 (Reichsgesetzbl. S. 210); Maß- u. Gewichtsordn. v.
	        
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