8 33. Die Zuständigkeit des Reichstages. 303
Verordnungen findet durch die Erteilung der Genehmigung formell
keine Verwandlung in Gesetze statt; sie werden nicht nochmals als
Gesetze publiziert. Formell ganz getrennt von dem Verordnungsakt
steht die Resolution des Reichstages, welche die Genehmigung aus-
spricht!). Im Reichsgesetzblatt wird lediglich durch den Reichskanzler
bekannt gemacht, daß die Genehmigung erteilt worden ist, wenn die
Verordnungen ohne dieselbe ipso jure außer Kraft treten würden ?).
Ausnahmsweise kommt es auch wohl vor, daß zum Erlaß einer
Verordnung die vorgängige Genehmigung des Reichstages erfordert
wird. Im Wahlgesetz vom 31. Mai 1869, $ 15 (Bundesgesetzbl. S. 148)
ist dem Bundesrat der Erlaß des Wahlreglements übertragen; dasselbe
ist eine Ausführungsverordnung zum Wahlgesetz. Auch die Abände-
rung desselben kann daher in der Form der Verordnung erfolgen.
Aber 8 15, Abs. 2 des Wahlgesetzes bestimmt, daß das Wahlreglement
nur unterZustimmung des Reichstages abgeändert werden kann.
Das heißt nicht, daß die Abänderung durch ein Reichsgesetz
erfolgen müsse, eine Bundesratsverordnung ist vielmehr ausreichend;
jedoch darf der Bundesrat eine solche Verordnung nur erlassen, nach-
dem der Reichstag zu dem Inhalt derselben seine Genehmigung er-
teilt hat°). Ebenso erfordert das Bankgesetz vom 14. März 1875, $ 41
(Reichsgesetzbl. S. 189) zur Verlängerung des Privilegiums der Reichs-
bank über den 1. Januar 1891 hinaus, nämlich zur Unterlassung der
Kündigung, die »Zustimmung« des Reichstages ?).
1908, 8 12, Abs. 2 (Reichsgesetzbl. S. 352). Endlich kommt auch die Klausel vor, daß
die Verordnungen „außer Kraft zu setzen sind, soweit der Reichstag dies verlangt“,
so daß also die Genehmigung stillschweigend erteilt werden kann, ohne Be-
schlußfassung durch das bloße Unterlassen dieses Verlangens; so in der Gewerbe-
ordnung 8 139a a. E.; im Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, 87 (Reichsgesetzbl. S. 146) ;
im Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879, 8 27, Abs. 3 (Reichsgesetzbl. S. 253); im
Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887, $ 4 (Reichsgesetzbl. S. 255); im Zucker-
steuergesetz vom 9. Juni 1895 (Reichsgesetzbl. S. 255) und vom 27. Mai 1896, 88 u.
$ 79 (Reichsgesetzbl. S. 118, 143) u. a. Davon verschieden sind die Fälle, in welchen
eine Verordnung dem Reichstag zwar vorzulegen ist, aber ohne daß ihm das Recht
zusteht, die Aufhebung derselben zu verlangen; so das Gesetz zur Bekämpfung des
unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896, $ 5 und sehr viele andere.
1) Die Genehmigung muß pure erteilt werden. Genehmigung einer solchen Ver-
ordnung unter Abänderung derselben gilt als Verwerfung, verbunden mit der Auf-
stellung eines neuen Gesetzentwurfes. Es ergibt sich dies aus dem formalen Charakter
der Genehmigung. Vgl. Stenogr. Berichte des Reichstages von 1874/75, S. 123 fg.,
139, 141.
2) Vgl. z.B. Reichsgesetzblatt 1880, S. 102; 1882, S. 10; 1883, S. 182, 198,
232; 1886, S. 68. Ferner Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen 1874, S. 52;
1875, S. 188.
3) Vgl. Abänderung des Wahlreglem. v. 28. April 1903 (Reichsgesetzbl. S. 202).
4) Vgl. auch Gesetz vom 5. Juni 1869, $ 13, Abs. 2 (Bundesgesetzbl. S. 143);
Reichsgesetz vom 8. Juli 1872, Art. IV (Reichsgesetzbl. S. 290); Flottengesetz vom
10. April 1898, 8 2 (Reichsgesetzbl. S. 166); Invalidenversicherungsges. v. 13. Juli 1899,
5 82, Abs. 6; $ 33 Abs. 5; $ 100, Abs. 2.