Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

304 $& 33. Die Zuständigkeit des Reichstages. 
3. Endlich ist hier noch zu erwähnen, daß die von dem Kaiser 
(Reichsverfassung Art. 12) zu verfügende Vertagung des Reichstages der 
»Zustimmung« des letzteren bedarf, wenn sie die Frist von 30 Tagen 
übersteigt oder während derselben Session wiederholt wird. Reichs- 
veriassung Art. 26). 
Ill. Eine fernere Form, in welcher die Zuständigkeit des Reichs- 
tages sich verwirklicht, besteht in dem Recht desselben, Kenntnis 
zu erlangen, in welcher Weise die Regierungsorgane des Reiches 
tätig geworden sind ?). Diesem Recht entspricht die Pflicht der Reichs- 
regierung zur Erstattung von Berichten an den Reichstag. Durch 
die Berichterstattung wird der Reichstag in den Stand gesetzt, ein Ur- 
teil über die Tätigkeit der Reichsregierung auszusprechen, und ihm 
eine Kontrolle über die letztere ermöglicht. Diese Form kann bei 
allen wichtigen Verwaltungsoperationen Anwendung finden, und die 
Regierung kann sich aus politischen Rücksichten der Berichterstattung 
in der Regel kaum entziehen, wenn der Reichstag sie verlangt; eine 
staatsrechtliche Pflicht der Regierung zur Erstattung von 
periodischen Berichten besteht aber nur, wenn dieselbe durch eine 
besondere Gesetzesbestimmung ausdrücklich vorgeschrieben ist. 
Die rechtliche Stellung des Reichstages diesen Berichten gegenüber 
ist eine verschiedene. Das Recht des Reichstages zur Kenntnisnahme 
kann ein einseitiges sein, mit welchem keine Gegenverpflichtung des 
Reichstags verbunden ist. Dem Reichstag ist es zwar unverwehrt, 
jeden ihm erstatteten Bericht zum Gegenstand der Erörterung zu 
machen und durch eine »Resolution« ein Urteil über die Gesetzmäßig- 
keit, Zweckmäßigkeit u. s. w. des von der Regierung beobachteten Ver- 
fahrens abzugeben ?); aber der Reichstag ist hierzu nicht verpflichtet; 
er kann sich mit der bloßen Kenntnisnahme begnügen. Eine solche 
Rechenschafts- oder Berichterstattungspflicht ist der Regierung in zahl- 
reichen Gesetzen auferlegt ‘). 
1) Die in Art. 31 der Reichsverfassung erwähnte Genehmigung des Reichstages 
zur strafrichterlichen Verfolgung oder Verhaftung eines Mitgliedes hat einen anderen 
rechtlichen Charakter; vgl. darüber unten & 37. 
2) Seydel, Annalen 1880, S. 357. 
3) Die einzige Ausnahme hiervon machen die Uebersichten der vom Bundesrat 
auf die Beschlüsse des Reichstages gefaßten Entschließungen. Geschäftsordnung des 
Reichstages 8 34. Der Reichstag hat in der Session von 1872 den Wunsch ausge- 
drückt, daß der Bundesrat ihm regelmäßig Mitteilungen mache über die von demselben 
gefaßten Entschließungen auf die von dem Reichstage beschlossenen Gesetzentwürfe 
und Anträge. Der Bundesrat hat beschlossen, diesem Wunsche zu entsprechen. Druck- 
sachen des Reichstages von 1873, Anlagen Nr. 14, S. 60. Diese Uebersichten sind 
Berichte. 
4), Beispiele dafür sind folgende Gesetze: Reichsgesetz vom 4. Juli 1868, $ 5 
(Bundesgesetzbl. S. 434), Mitteilung der für den Rechnungshof erlassenen Instruktion. 
Reichsgesetz vom 4. Dezember 1871, $ 11 (Reichsgesetzbl. S. 406), über die Einziehung 
der bisherigen Münzen. Militärgesetz von 1873, $ 37 (Reichsgesetzbl. S. 55), über die 
Ergebnisse des Ergänzungsgeschäfts. Reichsgesetz gegen die Sozialdemokratie vom
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.