Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

310 & 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 
verfassung hinsichtlich der Zahl der in den süddeutschen Staaten zu 
wählenden Abgeordneten ergänzt worden. In der dem Reichsgesetz 
vom 16. April 1871 entsprechenden Fassung ist sodann das Wahlgesetz 
gleichzeitig mit der Reichsverfassung selbst durch das Gesetz vom 
25. Juni 1873, 8 6 (Reichsgesetzbl. S. 162) in Elsaß-Lothringen eingeführt 
worden und daselbst am 1. Januar 1874 in Kraft getreten, indem 
dasselbe Einführungsgesetz 8 13 die Zahl der in Elsaß-Lothringen zu 
wählenden Abgeordneten auf 15 festsetzte.e In Helgoland wurde das 
Wahlgesetz eingeführt durch das Reichsgesetz vom 15. Dez. 1890, 8 4 
(Reichsgesetzbl. S. 207). 
Auf Grund der im 8 15 des Wahlgesetzes erteilten Ermächtigung 
hat der Bundesrat das Wahlreglement vom 28. Mai 1870 (Bundes- 
gesetzbl. S. 275) erlassen. Die durch den Hinzutritt der süddeutschen 
Staaten und Elsaß-Lothringens erforderlichen Nachträge sind ergangen 
am 27. Februar 1871 (Reichsgesetzbl. S. 35) und 1. Dezember 1873 
(Reichsgesetzbl. S. 374)!). Das Wahlreglement ist abgeändert worden 
durch den Beschluß des Bundesrates vom 28. April 1903 (RGBl. S. 202). 
Da die Prüfung der Wahlen dem Reichstage zusteht, so enthalten die 
Reichstagsverhandlungen ein sehr umfangreiches Material für die Aus- 
legung und Anwendung des Wahlgesetzes und Wahlreglements, welches 
in Bezug auf die Kasuistik einen ähnlichen Wert hat, wie die Ent- 
scheidungen eines obersten Gerichtshofes, wenngleich der Reichstag bei 
seinen Beschlüssen nicht ausschließlich durch juristische Erwägungen, 
sondern vielfach durch das Fraktionsinteresse geleitet wird’). 
I. Das aktive Wahlrecht. 
Wähler?) für den Reichstag ist jeder Deutsche, 
welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurück- 
gelegt hat‘). Da das Gesetz unzweifelhaft’) nur Männer für wahl- 
berechtigt erklären wollte, so ergibt sich, daß das Wahlrecht an drei 
Voraussetzungen geknüpft ist, Reichsangehörigkeit, Alter von mindestens 
25 Jahren und männliches Geschlecht. Andere Voraussetzungen, 
welche zugleich Beschränkungen des Wahlrechts sein würden, kennt 
Vertrag Art. 2, Nr.6. Bayer. Vertrag III, $ 8. Vgl. Reichsgesetz vom 16. April 1871, 
& 2 (Reichsgesetzbl. S. 63). Im $ 1 und $ 4 des Wahlgesetzes ist infolgedessen statt 
„jeder Norddeutsche“ „jeder Deutsche“ zu verstehen. 
1) Außerdem eine redaktionelle Abänderung, welche durch eine Veränderung der 
Verwaltungsorganisation in mehreren Bundesstaaten erforderlich wurde, vom 8. Sep- 
tember 1898 (Zentralbl. S. 393 fg.). 
2) Eine gute, jetzt aber veraltete Bearbeitung dieses Materials enthält die Schrift 
von Robertv. Mohl, Kritische Bemerkungen über die Wahlen zum Deutschen 
Reichstage, Tübingen 1874 (Abdruck aus der Zeitschrift für die gesamte Staatswissen- 
schaft Bd. 30). Ferner Seydel, Annalen 1880, S. 359 ff. und Kommentar S. 193 fi. 
und namentlich Perels, Auton. Reichstagsr. (1903), S. 70 ff. 
3) Seydel.a. a. O. bemerkt mit Recht, daß der vom Gesetz gebrauchte Aus- 
druck „Wähler“ nicht korrekt ist, indem das Gesetz damit nicht diejenigen Personen, 
welche wählen, sondern diejenigen, welche fähig sind zu wählen, bezeichnen will. 
4) Wallgesetz 8 1. 5) v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 342.
	        
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