Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

S 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 313 
sonach noch auf die älteren Landesstrafgesetzbücher sich bezieht. Nach 
vielen derselben zogen gewisse Strafen, insbesondere die Zuchthausstrafe, 
mit Notwendigkeit den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte nach sich, 
und bei schweren Fällen des Hochverrats und Landesverrates, der 
Majestätsbeleidigung, der Verbrechen in Beziehung auf die Ausübung 
der staatsbürgerlichen Rechte u. s. w. mußte auf Zuchthausstrafe 
erkannt werden, teils unbedingt, teils wenn nicht mildernde Umstände 
angenommen wurden!) Derartige Bestimmungen der Strafgesetze 
ließen es angemessen erscheinen, hinsichtlich des Wahlrechts eine 
Ausnahme zu machen, wofern das Verbrechen oder Vergehen nicht 
aus einer ehrlosen Gesinnung, sondern aus politischen Beweggründen 
entsprungen ist. 
Da eine Aufzählung derjenigen Verbrechen oder Vergehen, bei 
denen diese Ausnahme Platz greifen sollte, schon wegen der Mannig- 
faltigkeit der herrschenden Strafgesetzbücher nicht möglich war, so 
bezeichnete man sie allgemein als »politische Vergehen oder Verbrechen«. 
Das ist nun allerdings kein festbestimmter Rechtsbegriffl, und weder 
die älteren Gesetze noch das Reichsstrafgesetzbuch bezeichnen be- 
stimmte Delikte oder Kategorien derselben als politische. Nach dem 
objektiven Tatbestande des Delikts läßt sich dieser Begriff auch gar 
nicht bestimmen, sondern nur nach dem Motive des Täters. Ein 
sehr großer Teil, vielleicht die Mehrzahl, aller Verbrechensarten kann 
aus politischen Beweggründen verübt werden, und andererseits brau- 
chen die »gegen den Staat« gerichteten Verbrechen, wie Hochverrat 
und Landesverrat u. s. w., durchaus nicht immer politisch zu sein, 
da sie auch aus höchst egoistischen und ehrlosen Motiven begangen 
werden können’). Da nun die Motive der verbrecherischen Tat nicht 
durch rechtskräftiges Erkenntnis festgestellt werden, so fehlt es an 
einem juristischen Kriterium dafür, ob eine Verurteilung wegen eines 
politischen Verbrechens oder Vergehens stattgefunden hat. Die 
Handhabung der in Rede stehenden Bestimmung des Wahlgesetzes 
müßte daher in der Praxis große Schwierigkeiten machen, wenn nicht 
das Reichsstrafgesetzbuch ihr den größten Teil ihrer praktischen 
Wichtigkeit indirekt entzogen hätte. 
Nach dem Reichsstrafgesetzbuch zieht niemals irgend eine Strafe, 
auch die Zuchthausstrafe nicht, den Verlust der bürgerlichen Ehren- 
rechte nach sich, sondern es muß auf diese akzessorische Strafe immer 
besonders erkannt werden. Neben der Gefängnisstrafe kann dies nur 
in den im 8 32 angeführten beiden Fällen geschehen. Neben der 
Zuchthausstrafe kann zwar immer auf den Verlust der bürgerlichen 
Ehrenrechte erkannt werden, in allen Fällen aber, wo das Gesetz die 
Wahl zwischen Zuchthaus oder Festungshaft gestattet, darf auf Zucht- 
1) Dies galt namentlich auch vom preußischen Strafgesetzbuch; vgl. z.B. 8 65 ff., 
14 ff., 78, 82, 83, 91, Abs. 2 u. s. w. 
2) Vgl. Homberger, Der Begriff des politischen Delikts, München 1893.
	        
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