314 8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
haus nur dann erkannt werden, wenn festgestellt wird, daß die strafbar
befundene Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist !),
Da nun politische Verbrechen und Vergehen gerade darin ihr charak-
teristisches Wesen haben, daß sie nicht aus einer ehrlosen Gesinnung
entspringen, und der Richter, selbst in den Fällen, in denen er auf
Zuchthaus erkennen muß, weil Festungshaft nicht alternativ angedroht
ist, nicht genötigt ist, zugleich die bürgerlichen Ehrenrechte abzuer-
kennen?), so sichert diese Bestimmung des Reichsstrafgesetzbuches im
wesentlichen das Resultat, daß bei allen politischen Verbrechen
und Vergehen der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt
nicht durch richterliches Erkenntnis verhängt wird, und daß anderer-
seits in den Fällen, in welchen auf diese Strafe erkannt wird, regelmäßig
von dem Strafrichter festgestellt sein muß, daß die Tat aus ehrloser
Gesinnung entsprungen sei, also nicht als ein politisches Verbrechen
oder Vergehen qualifiziert werden könne.
Für die mit der Aufstellung der Wählerlisten betrauten Behörden
ergibt sich hieraus die einfache Regel, aus den Listen alle Personen
fortzulassen, welchen durch rechtskräftiges Erkenntnis die bürgerlichen
Ehrenrechte aberkannt sind, ohne auf eine Untersuchung darüber
einzugehen, ob die Verurteilung wegen eines »politischen« Verbrechens
oder Vergehens erfolgt sei.
Zu demselben Resultat führt auch die Erwägung, daß 8 34 des
Reichsstrafgesetzbuches ohne zwischen politischen und gemeinen Ver-
brechen oder Vergehen einen Unterschied zu machen, an die Aber-
kennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Wirkung knüpft, daß
während derim Urteile bestimmten Zeit die Unfähigkeit,
in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt
zu werden, eintritt, und daß das Reichsstrafgesetzbuch als das jüngere
Reichsgesetz dem Weahlgesetz vorgeht?).
Der praktische Schwerpunkt der Bestimmung des Wahlgesetzes
liegt aber allerdings nicht in dem aktiven Wahlrecht, sondern in der
davon abhängigen Wählbarkeit. Ueber dieselbe hat der Reichstag zu
entscheiden, da ihm die Prüfung der Legitimation seiner Mitglieder
zusteht. Hierbei ist er formell an juristische Gründe nicht gebunden;
er kann vielmehr der Erwägung Raum geben, ob der von einer großen
Wählerzahl ernannte Abgeordnete nicht zuzulassen sei, wenngleich
ein rechtskräftiges Erkenntnis demselben die Ehrenrechte abgesprochen
hat, und er kann in dieser Erwägung den Begriff der politischen Ver-
brechen und Vergehen so verstehen und dehnen, wie es der einzelne
Fall etwa erfordert.
1) Reichsstrafgesetzbuch 8 20.
2) Ausgenommen bei Verurteilungen wegen Meineids (Reichsstrafgesetzbuch $ 161)
und der schweren Fälle der Kuppelei des $ 181, die hier nicht in betracht kommen
können.
3) Vgl. Seydel S. 362, Note 2.