Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

318 8$ 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 
IV. Die Wahlkreise. »Jeder Abgeordnete wird in einem be- 
sonderen Wahlkreise gewählt« '). Für die Bildung der Wahlkreise gilt 
der Grundsatz, daß sie räumlich abgegrenzt und tunlichst ab- 
gerundet sein müssen), d. h. jeder Wahlkreis bildet einen geographi- 
schen Bezirk, in welchem alle in demselben wohnenden Wahlbe- 
rechtigten zu einer Wählerschaft verbunden sind ohne Unterschied des 
Standes oder der sozialen Klasse ?).. Die räumliche Abgeschlossenheit 
und Abrundung der Wahlkreise erleidet eine Ausnahme nur durch 
die Rücksicht auf die Gebietshoheit der Einzelstaaten in Ansehung der 
Enklaven. (Siehe oben S. 295.) 
»Ein Reichsgesetz wird die Abgrenzung der Wahlkreise bestim- 
men«®). Bis dahin sind die Wahlkreise so beizubehalten, wie sie beim 
Erlaß des Wahlgesetzes waren, mit Ausnahme derjenigen, welche da- 
mals nicht örtlich abgegrenzt und zu einem räumlich zusammen- 
hängenden Bezirke abgerundet waren. Die letzteren mußten bis zu 
den nächsten allgemeinen Wahlen der Vorschrift des 86, Abs. 3 gemäß 
gebildet werden. Durch diese Anordnungen sind folgende Rechtssätze 
gegeben: Diejenige Abgrenzung der Wahlkreise, welche bei den ersten 
Reichstagswahlen im Norddeutschen Bunde durch Verordnungen der 
Landesregierungen getroffen wurde, vorbehaltlich der Berichtigung 
derjenigen Kreise, welche nicht räumlich zusammenhängende Bezirke 
bildeten, ist reichsgesetzlich aufrecht erhalten und zu einer dauernden 
Einrichtung gemacht worden. Dieselbe kann weder durch den Be- 
schluß des Bundesrates oder durch kaiserliche Verordnung noch durch 
Gesetze oder Verordnungen der Einzelstaaten abgeändert werden. Jede 
Abänderung der Wahlkreise erfordert vielmehr ein Reichsgesetz °). 
Ein Verzeichnis der Wahlkreise, welches den Bestimmungen des 
8 6 des Wahlgesetzes entspricht, ist als Anlage C dem Wahlreglement 
vom 28. Mai 1870 beigegeben und im Bundesgesetzbl. 1870, S. 289 ff. 
publiziert worden. Unbedeutende Abänderungen infolge von Grenz- 
regulierungen hat dasselbe erfahren durch die Reichsgesetze vom 
20. Juni 1873 (Reichsgesetzbl. S. 144), vom 25. Dezember 1876 (Reichs- 
gesetzbl. S. 275) und vom 18. Februar 1906 (RGB. S. 317). 
Nach der Gründung des Deutschen Reiches wurde durch Beschluß 
des Bundesrates vom 27. Februar 1871 das Verzeichnis der Reichs- 
1) Wahlgesetz $ 6, Abs. 1. 2) Wahlgesetz $ 6, Abs. 3. 
3) Die Veranlassung zu der scharfen Hervorhebung dieses Grundsatzes bot das 
in Mecklenburg bei den ersten Reichstagswahlen eingeschlagene Verfahren, die Wahl- 
körperschaften nach Domanium, Rittergütern und Städten zu bilden. Staatsminister 
Delbrück bemerkte im Reichstage am 13. Dezember 1869, daß durch die in Rede 
stehende Anordnung des Wahlgesetzes der Wiederholung dieses Verfahrens vorge- 
beugt werden sollte. Stenogr. Berichte 1869, S. 41. 
4) Wahlgesetz 8 6, Abs. 4. 
5) Vgl. SeydelS. 368, Note 3. Dies gilt auch in dem Falle, daß der Bezirk 
einer Stadtgemeinde, welche einen Wahlkreis für sich bildet, eine Erweiterung erfährt; 
die Abgrenzung der Reichstagswahlkreise bleibt davon unberührt.
	        
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