& 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 321
abgesehen von der Notwendigkeit einer engeren Wahl, welche lediglich
als Fortsetzung der Wahlhandlung zu betrachten ist, nur folgende Fälle
ausgenommen:
a) wenn der Gewählte ablehnt,
b) wenn der Reichstag die Wahl für ungültig erklärt,
c) wenn ein Abgeordneter während des Laufes der Legislaturperiode
aus dem Reichstage ausscheidet.
In diesen Fällen finden partielle Wahlen (Ersatzwahlen) in den
betreffenden Wahlkreisen statt. Dieselben werden nicht vom Kaiser
oder dem Reichskanzler, sondern von der zuständigen Landesbehörde!)
anberaumt, und zwar sind sie von derselben sofort zu veranlassen ?).
Das Gesetz kennt nur Fälle, in denen einzelne Wahlkreise an
einem besonderen Tage eine Wahl vorzunehmen haben, dagegen ge-
stattet es nicht, daß in einzelnen Wahlbezirken innerhalb eines Wahl-
kreises die Wahlhandlung an einem anderen Tage vorgenommen
werde, als an demjenigen, welcher für den ganzen Wahlkreis festgesetzt
ist. Wenn daher die Wahl in einem Wahlbezirke nicht vorgenommen
werden kann, weil z.B. der Wahlort oder das Wahllokal an dem betreffen-
den Tage unzugänglich ist oder weil weder der Wahlvorsteher noch
dessen Stellvertreter sich einfindet u. dgl., so kann die Abstimmung
in diesem Bezirke nicht rechtswirksam nachgeholt werden).
2. Eine notwendige Vorbereitung der Wahl besteht in der An-
fertigung der Wählerlisten. Für jeden Wahlbezirk ist eine be-
sondere Wählerliste anzulegen, in welche die zum Wählen Berechtigten
nach Zu- und Vornamen, Alter, Gewerbe und Wohnort eingetragen
im übrigen Reichsgebiet die Wahlen am 10. Januar 1874 stattfanden, mußten daher
die Wahlen im Reichslande auf den 1. Februar 1874 gelegt werden. Reichsgesetzbl.
1873, S. 372, 3880. Der Fall könnte als Präzedenz dienen, falls einmal durch außer-
ordentliche Ereignisse, wie feindliche Okkupation, Aufruhr oder dgl., zur Zeit der
allgemeinen Wahlen in einem Teil des Bundesgebietes die regelrechte und freie Vor-
nahme von Wahlen unmöglich sein sollte.
1) Das sind in Preußen die Bezirksregierungen, resp. Landdrosteien, ebenso in
Bayern die Kreisregierungen, Kammer des Innern, und in Elsaß-Lothringen die Be-
zirkspräsidenten, in den übrigen Staaten die Zentralbehörde (Ministerium des Innern,
Staatsministerium, Senat). Wahlreglement Anlage D.
2) Wahlreglement $ 34. Das Wort „sofort“ ist nach den Grundsätzen des guten
Glaubens auszulegen; es läßt der Landesbehörde einen gewissen Spielraum; nur darf
die Anberaumung des Wahltermins nicht aus Gründen verzögert werden, welche nicht
mit dem Wahlgeschäft selbst zusammenhängen. Nach einer Anordnung des preufß.
Min. des Innern vom Juli 1910 sollen die Neuwahlen innerhalb eines Zeitraums von
70 Tagen nach Erledigung des Mandats vorgenommen werden.
3) Dem Reichstage bleibt aber die Möglichkeit, wenn ein erheblicher Teil aller
Wahlberechtigten durch Elementarereignisse an der Ausübung der Wahl gehindert
war, die Wahl des ganzen Kreises als vereitelt zu erklären und das Wahlresultat zu
kassieren. Vgl. über solche Fälle die Stenogr. Berichte von 1871, S. 27 fg., 389 ff., von
1874/75, S. 564 ff.; v. Mohl, Kritische Bemerkungen S. 42fg. und Seydel S. 3741g.