Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

334 & 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 
2. Sowohl die Wahlhandlung und die Ermittelung des Wahlergeb- 
nisses in den Wahlbezirken als die Feststellung des Wahlresultates für 
die Wahlkreise sind öffentlich‘) Es wird dadurch die Ordnungs- 
mäßigkeit und Redlichkeit des Verfahrens unter die Kontrolle der 
Wahlberechtigten gestellt. Andererseits wird die Ordnung und Ruhe 
der Wahlhandlung dadurch gesichert, daß während derselben im Wahl- 
lokal weder Diskussionen stattfinden, noch Ansprachen gehalten, noch 
Beschlüsse gefaßt werden dürfen, außer den durch die Leitung des 
Wahlgeschäfts bedingten Diskussionen und Beschlüsse des Wahlvor- 
standes. 
3. Unberechtigten Einwirkungen der Regierung auf die Stimmen- 
abgabe und Feststellung des Wahlergebnisses und der Möglichkeit eines 
Verdachtes, daß dergleichen vorgekommen sei, ist durch die Vorschrift 
vorgebeugt, daß die Funktion der Vorsteher, Beisitzer und Protokoll- 
führer bei der Wahlhandlung in den Wahlbezirken und der Beisitzer 
bei der Ermittelung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen ein un- 
entgeltliches Ehrenamt ist und nur von Personen ausgeübt werden 
kann, welche kein unmittelbares Staatsamt bekleiden ?). 
4. Das Reichsstrafgesetzbuch hat die freie und ordnungsmäßige 
Vornahme der Wahlen durch vier spezielle Strafsatzungen geschützt. 
a) Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit 
einer strafbaren Handlung verhindert, in Ausübung seiner staats- 
bürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängnis 
nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren 
bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 107°). 
b) Ein Beamter unterliegt dieser Bestrafung selbst dann, wenn er 
die in $ 107 verbotene Handlung ohne Gewalt oder Drohung, aber 
durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder Androhung eines bestimmten 
Mißbrauchs derselben begangen hat). $ 339, Abs. 3. 
c) Wer ein unrichtiges Ergebnis der Wahlhandlung vorsätzlich 
herbeiführt, wird, wenn er mit der Sammlung von Wahlzetteln oder 
mit der Führung der Beurkundungsverhandlung beauftragt ist, mit 
Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren bestraft; wenn er nicht 
1) Wahlgesetz 8 9, Abs. 1. Wahlreglement $ 26, Abs. 3. Nicht bloß Wahlbe- 
rechtigte, welche dem Wahlbezirk oder Wahlkreise angehören, sondern alle Personen, 
denen das Reichstagswahlrecht zusteht, dürfen den Wahlverhandlungen beiwohnen. 
Vgl. Reger Bd. 11, S. 82; Bd. 13, S. 104. 
2) Wahlgesetz $ 9, Abs. 2. Wahlreglement $ 10, 26. 
3) Vgl. Drenkmann in Goltdammers Archiv Bd. 17, S. 168ff.; John in v. 
Holtzendorffs Handbuch des Deutschen Strafrechts II, S.83 ff.; Dochow, Art. Wahl- 
vergehen in v. Holtzendorffs Rechtslexikon; Schneidler im Gerichtssaal 1888, S. 1 ff.; 
Binding, Lehrbuch. Besonderer Teil H,2, S.821 f.;, Max Ernst Mayer in der 
Vergleichenden Darstellung des deutschen u. ausl. Strafrechts (Berl., Otto Liebmann), 
Bad. I, S. 272 ff. 
4) Vgl. hierzu Oppenhoff, Strafgesetzbuch Note 9 zu $ 339 und Mevesin 
v. Holtzendorffs Handbuch Il, S. 973 ff.
	        
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