338 8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
Gegenstand dieses Urteils ist aber nach Art. 27 der Reichsverfassung
immer nur die »Legitimation« der Reichstagsmitglieder. Daraus ergibt
sich ein Doppeltes. Der Reichstag kann dem vom Wahlkommissarjus
als gewählt Proklamierten die Legitimation absprechen, aber nicht
zugleich einen anderen als gültig Gewählten an dessen Stelle setzen:
es muß vielmehr eine Neuwahl stattfinden '. Ferner kann der Reichs.
tag nicht einzelne Teile des Wahlverfahrens für ungültig erklären und
andere als rechtsbeständig aufrecht erhalten; er muß vielmehr ent-
scheiden, ob die bei der Wahl vorgekommenen Unregelmäßigkeiten
erheblich genug sind, um die ganze Wahl ungültig zu machen oder
nicht?). Zur Gewinnung dieses Urteils kann der Reichstag aber seine
Prüfung erstrecken auf die Vorbereitung der Wahl, auf das gesamte
Wahlverfahren in allen einzelnen Abstimmungsbezirken und auf die
Feststellung des Wahlergebnisses.
Um dem Reichstage die Prüfung der Wahlen zu ermöglichen,
sind von dem Wahlkommissar sämtliche Wahlakten, sowohl über die
Wahlen in den Bezirken als über die Zusammenstellung der Ergebnisse
im Wahlkreise, der Staatsbehörde einzureichen, und alle diese Akten
werden durch Vermittelung der Zentralverwaltungsbehörde der Einzel-
staaten dem Reichstage vorgelegt).
Ueber das Verfahren hat die Geschäftsordnung des
Reichstages 8 3—8 die erforderlichen Bestimmungen getroffen*). Nach
denselben zerfällt dasselbe in die Vorprüfung und in die Entscheidung.
1. Die Vorprüfung geschieht zunächst in den Abteilungen.
Der Reichstag wird durch das Los in sieben Abteilungen gleicher
Mitgliederzahl geteilt, welche sich ihren Vorsitzenden und Schriftführer
wählen und ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Mitglieder
beschlußfähig sind’). Jeder Abteilung wird eine möglichst gleiche An-
zahl der einzelnen Wahlverhandlungen durch das Los zugeteilt.
2. Es wird ferner in jeder Session für die Dauer derselben eine
Wahlprüfungskommission gewählt. An die letztere sind die
Wahlverhandlungen zur weiteren Prüfung abzugeben ®):
a) wenn von der Abteilung die Gültigkeit der Wahl durch Mehr-
heitsbeschluß für zweifelhaft erklärt wird;
b) wenn zehn anwesende Mitglieder der Abteilung einen speziell
bezeichneten und begründeten Zweifel gegen die Gültigkeit der
Wahl erheben;
Reichstags, Leipz. 1908 (Staatsr. Abh. von Jellinek und Anschütz VL, 2); Perels,
Auton. Reichstagsrecht S. 70 ff.
1) Seydel S. 3886. 2) SeydelS. 393.
3) Wahlreglement $ 35 und dazu Anlage D.
4) Das jetzt beobachtete Verfahren beruht auf der Geschäftsordnung vom 10, Fe-
bruar 1876. Eine eingehende Darstellung und kritische Beleuchtung des früheren
Verfahrens gibt v. Mohl, Krit. Bemerkungen S. 851g.
5) Geschäftsordnung $ 2. 6) Geschäftsordnung $ 5.