Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

340 8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 
1. durch Ablauf der Legislaturperiode, welche fünf Jahre dauert’): 
2. durch Auflösung des Reichstages während der Legislaturperiode, 
Reichsverfassung Art. 24; 
3. durch freiwilliges Ausscheiden eines Mitgliedes (sogenannte 
Mandatsniederlegung) ?). 
4. Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichs- 
amt oder in einem Bundesstaate ein besoldetes Staatsamt 
annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit 
welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden 
ist, so verliert es Sitz und Stimme im Reichstage und kann seine 
Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Reichs- 
verfassung Art. 21, Abs. 23). Die Entscheidung der Frage, ob in einem 
gegebenen Falle eine dieser Voraussetzungen tatsächlich vorliegt oder 
nicht, gehört zur Prüfung der Legitimation der Reichstagsmitglieder 
und steht deshalb dem Reichstage allein zu. 
5. Die Reichsverfassung kennt keinen Fall, in welchem einem 
Mitgliede Sitz und Stimme im Reichstage zur Strafe entzogen werden 
kann. Weder durch strafrichterliches Erkenntnis kann der Verlust 
der Mitgliedschaft verhängt werden, noch ist der Reichstag befugt, 
wegen dauernder Nichtteilnahme an den Geschäften des Reichstages 
1) Nach dem ursprünglichen Wortlaut des Art. 24 der Reichsverfassung dauerte 
sie drei Jahre; das Reichsgesetz vom 10. März 1888 (Reichsgesetzbl. S. 110) hat sie 
auf fünf Jahre verlängert. Vgl. darüber meine Erörter. im Jahrb. des öff. R. Bd. I, 
S. 23ff. Die Frist beginnt mit dem Tage der allgemeinen Wahlen. Dies ist die 
herrschende Ansicht, Vgl. Seydel, Kommentar S. 204; meine Ausführung in der 
D. Jur.-Zeitung 1902, S.489 ff.; Müller in Hirths Annalen 1%2, S. 14 ff.; G. Meyer 
& 130, Note 3 und die dort Zitierten. — Arndt, Kommentar Note 2 zu Art. 24 und 
Herrfurth, Deutsche Juristenzeitung Bd. 3, S.2ff. vertreten die Meinung, daß die 
Legislaturperiode mit dem ersten Zusammentreten des Reichstages beginne, unter 
Berufung darauf, daß die preußische Regierung diese Ansicht hinsichtlich des Abge- 
ordnetenhauses gebilligt habe. Diese auf unhaltbare Gründe gestützte Ansicht ist 
eingehend und treffend widerlegt worden von Perels im Arch. f. öffentl. R. Bd. 19, 
S. 1ff. — Soll die Legislaturperiode im einzelnen Falle verlängert werden, so ist 
dazu ein Gesetz erforderlich, welches den für Verfassungsänderungen aufgestellten 
Erfordernissen genügt. Vgl. das Gesetz vom 21. Juli 1870, Bundesgesetzbl. S. 498. 
SeydelS. 204, 205. 
2) Vgl. Wahlreglement S 34, Abs. 2; hier wird die Zulässigkeit des Ausscheidens, 
die auf einem allgemeinen Gewohnheitsrecht beruht, implicite anerkannt. Die Nieder- 
legung des Mandats muß ausdrücklich erklärt werden; aus der Tatsache, daß 
ein Mitglied ohne Entschuldigung und ohne sogenannten Urlaub sich fortgesetzt von 
den Reichstagsgeschäften fernhält, kann der Verzicht auf die Mitgliedschaft nicht 
gefolgert werden. 
3) Da diese Verfassungsbestimmung dem Art. 78, Abs. 3 der preuß. Verfassungs- 
urkunde entnommen ist, so kann in betreff der Kasuistik die staatsrechtliche Praxis 
Preußens Verwertung finden. Ueber dieselbe stellt ein reichhaltiges Material zusam- 
men v. Rönne, Preuß. Staatsrecht 8 118 (5. Aufl., bearbeitet von Zorn ], S. 335 ff.). 
Auch der Reichstag hat in sehr zahlreichen Fällen sich mit dieser Frage befaßt. Vgl. 
über das umfangreiche Detail Seydel S. 398 fg.
	        
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