S 36. Formelle Ordnung der Reichstagsgeschäfte. 349
tags werden aber in diesem Falle die Verhandlungen nicht fortge-
setzt }).
3. »Dem Reichstag steht es zu, seinen Präsidenten, seine
Vizepräsidenten undSchriftführer zu wählen.« Reichs-
verfassung Art. 27. Dieselben führen die Gesamtbezeichnung »Vorstand
des Reichstages.« Beim Eintritt einer neuen Legislaturperiode über-
nimmt zunächst interimistisch das älteste Mitglied den Vorsitz; die
Wahl des Präsidenten und von zwei Vizepräsidenten erfolgt zu Anfang
einer Legislaturperiode auf vier Wochen, dann aber für die übrige
Dauer der Session ?). Sie geschieht unter Namensaufruf durch Stimm-
zettel nach absoluter Majorität®). In den folgenden Sessionen
einer Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen
Session ihre Funktionen bis zur vollendeten Wahl des Präsidenten
fort, und die Präsidentenwahlen erfolgen sofort für die ganze Dauer
der Session‘). Die Konstituierung des Reichstages und das Ergebnis
der Vorstandswahlen wird durch den Präsidenten dem Kaiser ange-
zeigt).
Der Präsident und in seiner Vertretung die Vizepräsidenten nach
der Reihenfolge ihrer Erwählung haben die Verhandlungen zu leiten,
die Ordnung zu handhaben und den Reichstag nach außen zu ver-
treten. Der Präsident befördert die Vorlagen des Bundesrates und die
Anträge der Mitglieder zum Druck und zur Verteilung; er stellt die
gefaßten Beschlüsse zusammen; er verkündigt die Tagesordnung für
die nächste Plenarsitzung‘); er eröffnet und schließt die Sitzung und
verkündet Tag und Stunde der nächsten Sitzung; er vollzieht das
Protokoll”).
Der Präsident handhabt die Redeordnung?), führt die Rednerliste,
erteilt das Wort; er ist befugt, den Redner auf den Gegenstand der
1) PerelsS. 79. 2) Geschäftsordnung $ 11.
3) Die frühere Geschäftsordnung $ 7 verlangte einen Beschluß des Reichstages,
durch welchen der Tag für die Wahlen festgestellt wurde; die jetzige Geschäftsord-
nung $ 9 dagegen bestimmt, daß der Reichstag die Wahlen vollzieht, sobald die An-
wesenheit einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern durch Namensaufruf festge-
stellt ist. Beschluß vom 22. Mai 1872.
4) Geschäftsordnung $ 1, 9—11.
5) Geschäftsordnung $ 12.
6) Erhebt sich ein Widerspruch gegen die Tagesordnung, so entscheidet der
Reichstag. In der Regel wird in jeder Woche eine Sitzung zur Verhandlung über
die von Mitgliedern des Reichstags gestellten Anträge nach der Reihenfolge ihrer
Einbringung und der Petitionen nach der Reihenfolge, in welcher sie zur Verhand-
lung im Plenum vorbereitet sind, bestimmt (sogenannter Schwerinstag). Geschäfts-
ordnung 8 35.
7) Geschäftsordnung $ 13, 17, 19, Abs. 4, 35, 37, 41.
8) Dieselbe kann natürlich in keiner Weise den Satz der Reichsverfassung Art.9.
beschränken oder modifizieren, daß jedes Mitglied des Bundesrates im Reichstage
auf Verlangen jederzeit gehört werden muß. Vgl. Stenogr. Berichte 1882/83,
S. 2515 ff.