26 8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes.
Die juristische Bedeutung dieses legislativen Aktes ist mehrfach
mißverstanden worden.
Seydel!) schließt aus diesen Publikationen, daß die mit dem
norddeutschen Reichstage vereinbarte Verfassung gleichmäßiges
Landesgesetz sämtlicher verbündeter Staaten geworden sei?). Die
norddeutsche Bundesverfassung sei Landesrecht jedes Bundesstaates
geworden, nicht mehr, nicht weniger. Er zieht daraus die Folgerung,
daß alle auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Gesetze ihre Gültig-
keit von einem Landesverfassungsgesetze ableiten, also
wider Landesgesetze seien und verwertet diese Sätze für die juristische
Konstruktion des Reiches.
Die Unrichtigkeit dieser Auffassung ist in durchschlagender Weise
von Hänel, Studien I, S. 53 ff., 75 ff. dargetan worden. Er macht mit Recht
geltend, daß die Bundesverfassung einen für das Landesgesetz jedes
einzelnen Staates unmöglichen Inhalt hat; sie setzt einen Verein von
Staaten voraus, dessen Organisation sie bestimmt, ein Landesgesetz aber
kann nur solche Gegenstände rechtlich regeln, welche in das Herr-
schaftsgebiet dieses Staates fallen, nicht solche, welche die Koexistenz
mehrerer Staaten voraussetzen. »Die rechtliche Regelung eines solchen
Koexistenzverhältnisses liegt über dem Bereich des Herrschaftsverhält-
nisses jedes einzelnen Staates und damit irgend eines Landesgesetzes
hinaus. Der Norddeutsche Bund und seine Verfassung konnte darum
auch nicht durch eine Summe übereinstimmender Partikulargesetze
zur tatsächlichen und rechtlichen Existenz gelangen.«
Hänel,.aa.O. S.76, findet in der Mitwirkung der Landesver-
15. Juni 1867, welches sich auf die bloße „Verkündigung zur Nachachtung“ beschränkt
(siehe Seite 25 Note 2).
1) Kommentar zur Verfassungsurkunde S. 5 ff. (2. Aufl. S. 15 ff.). Aehnlich Arndt
RV.S. 41. Allerdings lehnt derselbe die von Seydel hieraus gezogene Folgerung
S. 44 ab; dies ist ‘aber inkonsequent und unlogisch. Vgl. v. Stengel in Schmollers
Jahrbuch XXIL, S. 1119 ff. und Rehm, Allgem. Staatslehre S. 138, welche sich gegen
die Ausführungen Seydels wenden; ferner Anschütz S. 504 fg.
2) Einigen Publikationspatenten liegt dieselbe Rechtsanschauung zu-
grunde; so wurde die Verfassung in Oldenburg verkündet „als Gesetz für das
Großherzogtum“, inSchwarzburg-Rudolstadt „als Landesgesetz“; das Lü-
becker Patent erwähnt die Zustimmung der Bürgerschaft „zu deren gesetzlicher
Geltung für den lübeckischen Freistaat“. Auch H. Schulze, Einleitung S. 473
nimmt an, daß „die Bundesverfassung durch die Publikation Landes gesetz
und integrierender Teil der Landesverfassung geworden ist“, und in seinem
Deutschen Staatsrecht I, 165 behauptet er, daß sie beides zugleich, ein inte-
grierender Teil jeder Landesstaatsverfassung und das einheitliche Staatsrecht einer
über allen Einzelstaaten stehenden höheren staatlichen Ordnung sei. Daß dies ein
innerer Widerspruch ist, bedarf keiner Ausführung. Ein sonderbarer Mißgriff juristi-
scher Konstruktion ist die von A. Connders in der Kohlerschen Zeitschr. f. Völkerr.
u. Bundesstaatsrecht Bd. 3 S. 221 ff. (1909) aufgestellte Theorie, daß jeder Staat nur
den ideellen Teil der Verf. soweit sein Machtbereich reichte, zum Gesetz erhoben
habe (S.309 fg.) Einer Widerlegung bedarf die Annahme einer Gesetzgebung nach
partes pro indiviso nicht.