& 36. Formelle Ordnung der Reichstagsgeschäfte. 359
b) Kommissionen. Dieselben werden gewählt. Es können
daher einzelne Mitglieder mehreren Kommissionen angehören, andere
gar keiner. Die Wahl erfolgt — wenigstens scheinbar — durch die
Abteilungen, indem jede derselben die gleiche Zahl von Kommissions-
mitgliedern durch Stimmzettel nach absoluter Mehrheit der anwesenden
Mitglieder erwählt'). In Wirklichkeit ist dies eine leere Form, da die
Wahl der Mitglieder der Kommissionen von den Vorständen der
Fraktionen vereinbart wird?). Die Kommissionen können entweder
für eine einzelne Angelegenheit oder für ganze Gruppen von Ge-
schäften gewählt werden 3). Die Aufgabe der Kommission ist die Vor-
beratung des ihr überwiesenen Gegenstandes und die Berichterstattung
an das Plenum. Der Bericht kann mündlich oder schriftlich erstattet
werden; schriftliche Berichte werden gedruckt und an die Mitglieder
verteilt. Der Reichstag kann in jedem Falle einen schriftlichen Bericht
verlangen ‘).
Die Kommissionen sind nur dann beschlußfähig, wenn mindestens
die Hälfte der Mitglieder anwesend ist’). Für das Publikum sind die
Sitzungen der Kommissionen nicht öffentlich ); die Reichstagsmitglieder
sind aber befugt, auch wenn sie einer Kommission nicht angehören,
den Sitzungen derselben beizuwohnen. Eine Ausschließung der Oeffent-
lichkeit der Kommissionsverhandlungen für Reichstagsmitglieder kann
nur der Reichstag beschließen‘). Die Mitglieder des Bundesrates und
Kommissare desselben können den Abteilungen und Kommissionen
mit beratender Stimme beiwohnen. Dem Reichskanzler wird daher
auch von dem Zusammentritt der Kommissionen und von dem Gegen-
stande der Verhandlungen Kenntnis gegeben).
Abteilungen und Kommissionen konstituieren sich selbständig,
wählen ihre Vorsitzenden und Schriftführer und deren Stellvertreter
1) Geschäftsordnung $ 26. Abs. 3.
2) Siehe darüber v. Mohl in der Zeitschr. f. Staatswissensch. Bd. 31, S. 57 ff.
und PerelsS. 22.
3) Der 8 26 erwähnt sechs solche Gruppen; es ist aber weder erforderlich, daß
stets diese sechs Kommissionen gebildet werden, noch ist es unzulässig, für einzelne
unter diese Kategorie fallende Gegenstände besondere Kommissionen einzusetzen.
Außerdem muß in jeder Session für die Dauer derselben eine Wahlprüfungskom-
mission gewählt werden. Geschäftsordnung 8 5. Siehe oben S. 338.
4) Geschäftsordnung $ 27, Abs. 2 und 3.
5) Geschäftsordnung S 27, Abs. 1. Die Wahlprüfungskommission kann aber über
Anträge, welche auf Ungültigkeitserklärung einer Wahl gehen, nur bei Anwesenheit
von wenigstens elf stimmberechtigten Mitgliedern Beschluß fassen. Beschl. des Reichs-
tages von 1884/85, Stenogr. Berichte I, S. 271.
6) Auch der $ 12 des Reichsstrafgesetzbuches findet auf Kommissionsverhand-
lungen keine Anwendung. Oppenhoff, Note 5 zu diesem Paragraphen; v. Liszt,
Reichspreßrecht S. 166. Olshausen a. a. O. Note 4.
7) Geschäftsordnung $S 27, Abs.5. Vgl.v.Mohla. a. O0. S. 60 fg.; PerelsS. 25.
8) Geschäftsordnung $ 29.