354 8 86. Formelle Ordnung der Reichstagsgeschäfte.
und regeln ihre Tagesordnung selbst. Für die Abteilungen kann auch
der Präsident Sitzungen anberaumen'!).
8. Protokolle. Auch von diesen gibt es zwei verschiedene Arten:
a) Die offiziellen Sitzungsprotokolle?). Das Protokoll jeder
Sitzung liegt während der nächsten Sitzung zur Einsicht aus und wird,
wenn dagegen bis zum Schluß der Sitzung kein Einspruch erhoben
ist, als genehmigt erachtet. Wird aber Einspruch erhoben, welcher
sich durch die Erklärung der darüber zu hörenden Schriftführer nicht
heben läßt, so entscheidet der Reichstag darüber®). Wird der Einspruch
für begründet erachtet, so muß noch während der Sitzung eine neue
Fassung der betreffenden Stelle vorgelegt werden. Das Protokoll muß
enthalten:
die gefaßten Beschlüsse in wörtlicher Anführung;
die Interpellationen in wörtlicher Fassung nebst der Bemerkung,
ob sie beantwortet sind;
die amtlichen Anzeigen des Präsidenten.
Das Protokoll wird von dem Präsidenten und zwei Schriftführern
vollzogen und im Archiv des Reichstages aufbewahrt. Durch den
Druck werden diese Protokolle nicht veröffentlicht. Sie allein haben
den Charakter öffentlicher Urkunden über die Reichstagsbeschlüsse.
b) Die stenographischen Berichte über die Verhand-
lungen. Die Ueberwachung der Revision derselben liegt den Schrift-
führern ob*). Sie enthalten einen vollständigen Bericht der gesamten
Verhandlungen und einen Abdruck der den Verhandlungen zugrunde
liegenden schriftlichen Vorlagen, Anträge und Berichte unter der Be-
zeichnung »Anlagen«. Jedes Mitglied ist außerdem befugt, bei allen
nicht durch Namensaufruf erfolgten Abstimmungen seine von dem
Mehrheitsbeschlusse abweichende Abstimmung kurz motiviert schriftlich
dem Bureau zu übergeben und deren Aufnahme in die stenographischen
Berichte, ohne vorgängige Verlesung in dem Reichstage, zu verlangen’).
Die stenographischen Berichte werden gedruckt und erscheinen nach
Legislaturperioden und Sessionen und in chronologischer Reihenfolge
der Sitzungen geordnet im Buchhandel °).
1) Geschäftsordnung 8 2, 27, 30. Ueber sogenannte „freie Kommissionen“ vgl.
v.Mohla.a 0.8.56; PerelsS. 29.
2) Geschäftsordnung 8 38—41.
3) Von einem Einspruch gegen die Richtigkeit des Protokolls ist wohl zu unter-
scheiden ein Einspruch gegen die (materielle) Richtigkeit einer im Protokoll richtig
wiedergegebenen Erklärung. Vgl. Stenogr. Berichte 1874, I. Sess., S. 113.
4) Geschäftsordnung $ 15.
5) Geschäftsordnung 8 59. Beispiele: Stenogr. Berichte 1874, I. Sess. S. 110
und 111.
6) Von dem verfassungsberatenden Reichstage von 1867 an im Verlage der Buch-
druckerei der „Norddeutschen Allgem. Zeitung“ in Berlin. Eine offizielle Autorität
kommt den Stenogr. Berichten nicht zu. Thudichum S. 196.