Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 39. Begriff und System der Reichsbehörden. 371 
Recht, die Reichsbeamten zu ernennen und erforderlichen Falles zu 
entlassen, schließt keineswegs eine Befugnis des Kaisers ein, Reichs- 
ämter zu errichten oder aufzuheben. Die Frage, wer befugt ist, eine 
Aenderung des Aemterorganismus anzuordnen, ist nicht mit einem 
einzigen Satze zu beantworten, sondern erfordert folgende Unter- 
scheidungen. 
Zunächst ist es zweifellos, daß das Finanzrecht von Einfluß auf 
die Befugnis zur Schaffung neuer Aemter ist. Schon bei der Beratung 
des Bundeshaushaltsgesetzes für 1868 faßte der Reichstag die Resolution, 
daß die Errichtung neuer Behörden oder Beamtenstellen, sowie die 
Erhöhung von Beamtengehalten nicht ohne vorgängige Bewilligung 
des Reichstages durch den Staatshaushaltsetat oder durch ein besonderes 
Kreditgesetz erfolgen dürfe!. Die Reichsregierung hat sich dieser 
Auffassung angeschlossen, in der Praxis ist sie befolgt worden ’?). 
Aus diesem Prinzip ergeben sich zwei Rechtssätze. 
1. Der Kaiser ist nicht befugt, und ebensowenig der Bundesrat, ohne 
Genehmigung des Reichstages neue Reichsämter mit Fonds zu dotieren. 
2. Die Genehmigung des Reichstages zur Errichtung neuer oder 
zur Erweiterung bestehender Reichsämter braucht nicht in einem 
besonderen Gesetz ausgesprochen zu werden, sondern das Etatsgesetz 
eines Jahres kann die dauernde gesetzliche Grundlage für die Organi- 
sation und Dotierung einer Reichsbehörde sein °). 
Mit diesen zwei Sätzen ist die Frage aber nur gestreift, nicht er- 
schöpfend gelöst... Es bleibt daneben noch die Möglichkeit zur Schaffung 
unbesoldeter Aemter, zur Aufhebung bestehender Aemter, 
zur Veränderung des Wirkungskreises und der Geschäftsverteilung 
der Behörden; überhaupt zu allen Veränderungen des Behördensystems, 
welche keine Etatsüberschreitungen verursachen. 
Als Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Fragen muß man den 
Grundsatz anerkennen, daß jede Behörde sowohl für den ihr obliegen- 
den Geschäftskreis als für die ihr delegierte Staatsgewalt einer gesetz- 
lichen Bestimmung zur Grundlage bedarf. Das Gesetz kann diese 
Grundlage aber in zweifacher Weise darbieten. Entweder unmittelbar, 
indem es die Errichtung einer bestimmten Behörde von fest normierter 
Organisation und Wirksamkeit anordnet, oder mittelbar, indem es der 
Reichsregierung Aufgaben zuweist, zu deren Durchführung die Er- 
richtung von Aemtern erforderlich ist. Auf spezieller gesetzlicher 
Anordnung beruhen z. B. das Reichsgericht und das Reichsmilitär- 
1) Stenogr. Berichte 1867, S. 118fg. Vgl. Thudichum S. 220. 
2) Auch der Gesetzentwurf über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben 
des Reiches vom 29. Oktober 1874 hat dieselbe gesetzlich sanktionieren wollen, indem 
8 8 die Bestimmung enthielt: „Gehalt und andere ständige Dienstemolumente dürfen 
nur auf Grund des Etats oder eines sonstigen Gesetzes verliehen werden.“ Druck- 
sachen des Reichstages II. Sess. 1874, Nr. 9. 
3) Dies ist vielfach der Fall, z.B. hinsichtlich der meisten aus dem Reichskanz- 
leramt hervorgegangenen Aemter, der Admiralität, Konsulate u. s. w.
	        
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