Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 33 
ist es allein konsequent, mit Seydel auch dasBundesverhält- 
nis für ein vertragsmäßiges zu erklären und die Geltung der Bundes- 
verfassung in jedem einzelnen Staate mit einem Akt der Landes- 
gesetzgebung zu begründen. Dagegen ist es unlogisch und in sich 
selbst widerspruchsvoll, wenn G. Meyer .a.a.O. sagt, »die Reichs- 
verfassung ist ihrer Entstehung nach Vertragsrecht, ihrer Geltung nach 
Gesetzesrecht«, und wenn er (gegen Seydel) behauptet, sie sei als völ- 
kerrechtlicher Vertrag in Kraft getreten, aber nicht als übereinstim- 
mendes Landesgesetz sämtlicher verbündeten Staaten eingeführt 
worden, sondern habe die Wirksamkeit eines Bundesgesetzes er- 
halten). Es liegt hierin eine Verkennung des Wesens der völkerrecht- 
lichen Verträge, welche in den Gebieten der einzelnen Kontrahenten 
anders als durch Landesgesetz eine verbindende Kraft gar nicht er- 
langen können, an und für sich vielmehr immer nur internationale 
Rechte und Verpflichtungen von Staat zu Staat erzeugen. Siehe unten 
60 fg. 
> Im Gegensatz dazu erkennt die Mehrzahl der Schriftsteller über 
das Reichsstaatsrecht die staatliche Natur des Reiches (Norddeutschen 
Bundes) an und legt der Verfassung den Charakter eines Gresetzes bei, 
welches für alle Einzelstaaten verbindlich sei und auf einer über 
ihnen stehenden Macht, auf dem staatlichen Willen der Gesamtheit 
beruht. Die Sanktion der Verfassung erscheint darnach nicht als die 
Summe übereinstimmender Willensakte der Einzelstaaten, sondern als 
einheitlicher Willensakt des Norddeutschen Bundes. Der Norddeutsche 
Bund konnte aber ohne eine bestimmte Verfassung nicht zur Existenz 
kommen und folglich konnte die Sanktion dieser Verfassung nicht von 
ihm ausgehen. Die Befugnis des Norddeutschen Bundes zu einer alle 
Staaten verbindenden Gesetzgebung beruht auf seiner Verfassung, 
und gleichzeitig soll die Geltung dieser Verfassung wieder auf der Ge- 
setzgebungsbefugnis des Bundes beruhen. Das Problem, daß ein erst 
zu gründendes Staatsgebilde sich selbst die Bedingungen seiner Ent- 
stehung schafft, gleicht der Quadratur des Zirkels oder nach Störks 
treffendem Ausdruck ?) der Frage nach der Priorität zwischen Henne 
und Ei. Man kann sich weder die Verfassung ohne Staat, noch den 
rechtlichen und staatsrechtlichen Verpflichtung zugrunde. Der Staatsvertrag als ein 
völkerrechtliches Geschäft erzeugt ein völkerrechtliches Verhältnis und begründet völ- 
kerrechtliche Verpflichtungen von Staat zu Staat; die Verfassung dagegen begründet 
für die Gliedstaaten Untertanenpflichten, sie hat eine staatsrechtlich verpflichtende 
Kraft, sie setzt daher eine über den Staaten stehende Herrschaft voraus. Ihre Ver- 
letzung ist nicht bloß Nichterfüllung einer internationalen Verpflichtung, sondern 
Empörung, hochverräterische Auflehnung gegen eine rechtlich begründete Herrschaft. 
Das Problem, wie ein völkerrechtlicher Vertrag eine derarti ge verpflichtende Kraft 
erlange, hat Brie nicht gelöst. 
l) Siehe dagegen Seydel 2. Aufl., S. 16. 
2) Grünhuts Zeitschrift Bd. 9, S. 647.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.