Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 44. Der Begriff der Reichsbeamten. 433 
Die Pflicht zur Leistung von Diensten kann ferner beruhen auf 
einem Gewaltverhältnis, welches nicht durch den freien Willensent- 
schluß der Beteiligten begründet ist, sondern ohne denselben besteht. 
Auf dem Gebiete des Privatrechts liefert die väterliche Gewalt und 
das in derselben enthaltene Recht des Vaters auf häusliche oder ge- 
werbliche Dienstleistungen der Hauskinder das deutlichste Beispiel. 
In ähnlicher Art begründet die Hoheit des Staates über seine Ange- 
hörigen das Recht des Staates auf Dienste und die Pflicht der Ange- 
hörigen, dieselben zu leisten. Die Erfüllung dieser Untertanen- oder 
Bürgerpflichten erzeugt aber ebenfalls nicht das Beamtenverhältnis. 
Wer dem Staate Dienste leistet als Soldat durch Erfüllung der allge- 
meinen Wehrpflicht, als Geschworener oder Schöffe durch Erfüllung 
der Gerichtspflicht, durch Uebernahme von Vormundschaäften, als Mit- 
glied von Steuereinschätzungskommissionen, als Wahlvorstand u. dgl., 
ist kein Beamter, trotzdem er einen Kreis staatlicher, ja sogar obrig- 
keitlicher Geschäfte versieht, also ein Amt hat und dem Staate dient. 
Der Grund ist nicht darin zu sehen, daß er sein Amt nicht dauernd 
verwaltet, sondern darin, daß seine Dienstpflicht nichts anderes ist als 
die Untertanenpflicht und in derselben enthalten ist. 
Es gibt nun aber eine dritte Klasse von Dienstverhältnissen, bei 
welchen die beiden charakteristischen Momente der eben erörterten 
Klassen verbunden sind, d.h. welche einerseits durch freie Willens- 
übereinstimmung, also durch Vertrag begründet werden, anderer- 
seits aber ihrem Inhalte nach ein Gewaltverhältnis sind !). 
Die Geschichte des Privatrechts liefert hierfür ein klassisches Bei- 
spiel durch die Vasallitä. Die Kommendation des mittelalterlichen 
Rechtes war ein Vertrag, aber kein Vertrag des Öbligationenrechts; 
zwischen Senior und Vasall, dem Lehnsherrn und Lehnsmann bestand 
ein Gewaltverhältnis, welches ethischer Natur war, auf besonderer Treue 
und Ergebenheit beruhte, eine besondere Dienstpflicht begründete. Die 
Kommendation erzeugte kein (obligatorisches) Kontraktsverhältnis, 
sondern ein Verhältnis der Ueber- und Unterordnung, eine potestas. 
Eine Verletzung der Dienstpflicht des Lehnsmannes war nicht die 
Nichterfüllung einer Obligation, sondern ein Vergehen, eine Felonie; 
die Rechte des Lehnsherrn waren keine Forderungsrechte, sondern 
Hoheitsrechte. Seine Gegenleistungen bestanden wesentlich in der 
Pflicht zum Schutze. Die Gewährung eines beneficium war ursprüng- 
lich nicht wesentlich, wenngleich von jeher üblich. Der Inhalt des 
Verhältnisses wird nicht durch gegenseitiges dare facere praestare 
oportere, sondern durch mundeburdium (defensio) und fides gebildet ’?). 
des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 6, S. 107; Bd. 18, S. 174 und besonders 
Bd. 28, S.85. Das Reichsbeamtengesetz von 1907, $ 52, Ziff. 4 spricht von Personen, 
„welche vor ihrer Anstellung im privatrechtlichen Vertragsverhältnis 
eines Dienstverpflichteten dem Reich Dienste geleistet haben“. 
1) Vgl. Rosin iin Hirths Annalen 1883, S. 299; Rehm daselbst 1885, S. 146 ff. 
2) Ein gleichartiges Beispiel ist der freiwillige (vertragsmäßige) Eintritt freier 
 
	        
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