8 44. Der Begriff der Reichsbeamten. 443
persönliche Willkür. Für Zwecke, die der Staat nicht als die seinigen
anerkennt, für Geschäfte, die in der Gesetzgebung und Einrichtung des
Staates keine Rechtfertigung finden, für Dienste, die außer Zusammen-
hang mit der Förderung des öffentlichen Wohles stehen, hat der Staats-
beamte sich nicht verpflichtet; noch viel weniger für Handlungen oder
Zwecke, die der Staat untersagt oder ausschließt. Hierin liegt das
Prinzip, um die Grenzen bestimmen zu können, wieweit der dienst-
liche Gehorsam des Beamten reicht; hierin liegt zugleich die Vermitt-
lung der beiden Sätze, daß die Dienstpflicht des Beamten eine unbe-
stimmte, ungemessene, seine ganze Persönlichkeit erfassende ist, und
daß er dennoch nicht verbunden ist, irgend welche andere Dienste als
»amtliche« zu leisten. Durch diese Zweckbestimmung der angelobten
Dienste gehört der Staatsbeamtenvertrag dem öffentlichen Recht an;
wegen ihr ist er der Beurteilung nach staatsrechtlichen Gesichtspunkten
unterworfen und sie allein unterscheidet das Rechtsverhältnis der
Staatsbeamten von dem der technischen und wirtschaftlichen Beamten
der juristischen und physischen Privatpersonen !).
II. Nach dem entwickelten Begriff unterscheiden sich Reichs-
beamte von Landes beamten einfach dadurch, daß die ersteren
in einem Dienstverhältnis zum Reich (Kaiser), die letzteren in einem
Dienstverhältnis zum Einzelstaat (Landesherrn) stehen; und es findet
dies äußerlich seinen Ausdruck darin, daß die ersteren vom Kaiser
(Reichsverfassung Art. 18) oder im Namen und Auftrag desselben von
einer Reichsbehörde, die letzteren vom Landesherrn oder im Namen
und Auftrag desselben von einer Landesbehörde angestellt werden ’°).
1) Auch diese Gesichtspunkte sind in der zitierten Abhandlung von Rehm wei-
ter ausgeführt, in ihren Konsequenzen verfolgt und gegen abweichende Ansichten
verteidigt. \
2) Uebereinstimmend G. Meyer $ 144, Note 1 und andere. Dagegen gelangt
Rehm, welcher hinsichtlich der Auffassung des allgemeinen juristischen Charakters
des Reiches auf dem Standpunkte Seydels steht, d. h. das Reich für einen völker-
rechtlichen Bund hält, zu der Konsequenz, daß der Reichsdienst nur eine Unterart
oder ein Anwendungsfall des Landesstaatsdienstes sei. Vgl. Annalen 1885, S. 691g.
Ueber die Dienstverhältnisse der Offiziere siehe unten die Darstellung vom Heerwesen.
Eine ganz eigentümliche Anomalie bilden der Präsident und die Räte des bayeri-
schen Senats des Reichsmilitärgerichts, sowie der Militäranwalt für
denselben, welche vom König von Bayern ernannt werden. Der bayerische
Senat ist keine bayerische Behörde, sondern ein Teil einer Reichsbehörde; er hat
keinen anderen staatsrechtlichen Charakter als das Ganze, dessen Teil er ist. Das
Gesetz vom 9. März 1899, $ 4 bestimmt ausdrücklich, daß die Vorschriften der Mili-
tärstrafgerichtsordnung auch für den bayerischen Senat gelten; auch die Urteile des
bayerischen Senats ergehen kraft amtlichen Auftrages des Reiches und in Aus-
übung der Reichsgewalt. Der Präsident und die Räte des bayerischen Senats und
der Militäranwalt stehen daher im Dienst des Reichs und unterliegen den vom Reich
erlassenen Disziplinarvorschriften des Gesetzes vom 1. Dezember 189; sie sind
mithin Reichsbeamte. Indem der König von Bayern sie ernennt, handelt er
als ein Organ des Reiches und übt eine Funktion aus, welche sonst in allen ähnlichen
Fällen dem Kaiser übertragen ist. Vgl. auch Rehm in der Zeitschrift „Das Recht“