8 47. Die Pflichten und Beschränkungen der Reichsbeamten. 459
ll. Die Pflicht zur Treue und zum Gehorsam.
1. Die Pflicht zur Treue hat einen vorzugsweise ethischen
Charakter'!), daher wird das eidliche Gelöbnis ihrer Erfüllung erfor-
dert und dadurch eine moralische Garantie ihrer Erfüllung gesucht.
Rechtlich läßt sich ihr Inhalt nicht erschöpfend darstellen und ihre volle
Erfüllung nicht wirksam erzwingen; nur offenkundige Verletzungen
derselben können eine Ahndung finden.
In der Pflicht zur Treue ist die Pflicht zur Verschwiegen-
heit enthalten. $ 11 des Reichsgesetzes bestimmt: » Ueber die vermöge
seines Amtes ihm bekannt gewordenen Angelegenheiten, deren Geheim-
haltung ihrer Natur nach erforderlich oder von seinem Vorgesetzten
vorgeschrieben ist, hat der Beamte Verschwiegenheit zu beobachten,
auch nachdem das Dienstverhältnis aufgelöst ist« 2). Im Zusammenhange
hiermit stehen die im $ 12 a.a. O. enthaltenen Vorschriften, daß ein
Reichsbeamter, bevor er als Sachverständiger ein außergerichtliches’)
Gutachten abgibt, dazu die Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde
einholen muß, und daß er, auch wenn er nicht mehr im Dienste ist,
ein Zeugnis :in betreff derjenigen Tatsachen, auf welche die Verpflich-
tung zur Amtsverschwiegenheit sich bezieht, insoweit zu verweigern
verpflichtet ist, als er nicht dieser Verpflichtung in dem einzelnen
Falle durch die vorgesetzte oder zuletzt vorgesetzt gewesene Dienst-
behörde entbunden ist. Ueber die besondere Sicherung der Pflicht
zur Amtsverschwiegenheit der Beamten des auswärtigen Dienstes, der
Post- und Telegraphenverwaltung und der Reichsbank siehe unten
die Darstellung dieser Verwaltungen.
1) Einige Schriftsteller bestreiten daher überhaupt, daß die Pflicht zur Treue als
eine besondere Rechtspflicht von der Pflicht zum Gehorsam unterschieden werden
könne; so namentlich Ehrenberg, Kommendat. u. Huldigung 1877, S. 105 ff. und
in der Deutschen Rundschau Bd. 10, Heft 7, S.51; G. Meyer 8146, Anm. 1; Rehm,
Annalen 1885, S. 86fg.; SeydelBd. 2, S. 221. Der dienstliche Gehorsam erschöpft
aber keineswegs den Inhalt der Beamtenpflicht; der Beamte hat vielmehr mit Auf-
wendung aller intellektuellen und ethischen Kräfte, sehr oft mit Verleugnung seiner
persönlichen Interessen, ja unter Umständen selbst mit Gefahr für Leib und Leben
die ihm anvertrauten öffentlichen Interessen zu wahren. Ein Beamter, der seine
Geschäfte oberflächlich, flüchtig und ohne Energie erledigt, handelt pflichtwidrig,
wenngleich er tut, was ihm befohlen wird. Vgl. auch GareisS. 166 a. E.; Otto
Mayer, Verwaltungsrecht II, S. 195 ff.;, Radnitzky im Arch. f. öffentl. R. Bd. 20,
S. 120 ff.; er formuliert den Gegensatz in der Art, daß die Gehorsamspflicht in der
Erfüllung des staatlichen Willens, die Treupflicht in der Wahrung der staatlichen In-
teressen bestehe, was mit der hier gegebenen Darstellung übereinstimmt.
2) Dieser Grundsatz ist für alle öffentliche Beamte (nicht bloß Reichsbeamte)
anerkannt in der Strafprozeßordn. 8 53 und in der Zivilprozeßordn. $ 383, Ziff. 5, 408,
Militärstrafgerichtsordn. $ 189.
3) Hinsichtlich gerichtlicher Gutachten ist dasselbe Prinzip anerkannt in der
Strafprozeßordn. $ 76, Abs. 2; Militärstrafgerichtsordn. $ 212, Abs. 2 und in der Zivil-
prozeßordn. 8 408, Abs. 2. Vgl. hierzu das Urteil des Reichsgerichts in Strafsachen
vom 30. November 1885 (Reger VII, S. 102).