$ 47. Die Pflichten und Beschränkungen der Reichsbeamten. 461
res merae facultatis. Denn wenn er die mit seinem Amte verbundene
Amtsgewalt zur Durchführung rechtswidriger Befehle gebraucht, so
treten die Rechtsfolgen gegen ihn ein, welche sich aus dem im 8 13
des Beamtengesetzes ausgesprochenen Grundsatze ergeben: »Jeder
Reichsbeamte ist für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen
verantwortlich.« (Siehe unten $ 48.)
Wenn andererseits der Beamte gesetzmäßige Befehle nicht befolgt,
weil er sie für gesetzwidrig hält, so begeht er eine Verletzung der
Dienstpflicht, ein Dienstvergehen, und kann überdies eine strafrecht-
liche oder privatrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Unterlassung
auf sich laden.
Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit aller dienstlichen Anordnungen
muB daher von jedem Beamten und zwar auf eigene Gefahr
vorgenommen werden.
Darum ist es von Wichtigkeit, festzustellen, worauf sich diese
Prüfung zu erstrecken hat!. Würde man dieselbe auf die Frage aus-
1) In der neueren Staatsrechtsliteratur begegnet man öfters der Lehre, daß der
Beamte, welchem ein gesetzwidriger Befehl erteilt worden ist, bei der Oberbehörde
zu remonstrieren verpflichtet sei, wenn aber seine Vorstellung fruchtlos bleibe, dann
den Befehl ausführen müsse. So namentlich Gönner S. 202 („mit bescheidener Frei-
mütigkeit“*); Bluntschli, Allgem. Staatsrecht II, S. 138; v. Mohl, Württemb.
Staatsrecht I, S. 775, 780; v. Sarwey, Württ. Staatsr. II, S. 288 ff.; v. Rönne, Preuß.
Staatsrecht II, 1, S. 428; Schulze, Preuß. Staatsrecht I, S. 326 ff. (dagegen schließt
derselbe im Deutschen Staatsrecht I, S. 324 fg. sich ganz eng an die hier gegebene
Darstellung an); v. Gerber S. 113. Diese Theorie, obwohl sie in manche klein-
staatliche Verfassungen sich eingeschlichen hat, ist keine Lösung der Frage, sondern
eine praktisch wertlose Umgehung derselben. Ein rechtswidriger und an sich nich-
tiger Befehl kann dadurch nicht Rechtswirksamkeit erlangen, daß er zweimal erteilt
wird; ein Beamter, dem die Befolgung eines Befehles untersagt ist, kann nicht da-
durch, daß er dies der Oberbehörde gegenüber ausgesprochen hat, nunmehr zur Aus-
führung dieses Befehles verpflichtet und befugt werden. Würde die Theorie wirklich
Geltung haben, so könnte sich jeder Beamte durch eine zum Schein vorgebrachte
Remonstration decken, oder es könnte die vorgesetzte Behörde ihrem Befehl gleich
eine Klausel beifügen, welche der Unterbehörde andeutet, daß Remonstrationen frucht-
los sein würden. Uebrigens würde es aber wohl keine Behörde für angemessen er-
achten, mit den Unterbehörden sich in einen fortwährenden Meinungsaustausch dar-
über einzulassen, ob und aus welchen Gründen ihre Entscheidungen dem Recht und
den Gesetzen gemäß sind. Das Reichsbeamtengesetz schließt die Anwendung
jener Theorie sicherlich aus, denn es legt dem Beamten weder eine Pflicht zu solchen
Vorstellungen an die vorgesetzte Behörde auf, noch macht der $ 13 eine Ausnahme
für den Fall, daß der Beamte dergleichen Remonstrationen erhoben hat. Anders da-
gegen die Mil.-Strafger.-O. $ 97, Abs. 3. Die Lösung der Frage ist nicht darin zu
suchen, daß man dem Beamten eine Zwischenverhandlung mit dem Vorgesetzten
auferlegt, also gewissermaßen statt eines prompten einen schleppenden Gehorsam von
ihm verlangt, sondern dadurch, daß man fest bestimmt, wie weit sich die eigene,
selbständige Verantwortlichkeit des Beamten erstreckt. Vgl. auch MeyerS 146,
Ziff. 3 und Note 13 und F. W. Freund im Archiv für öffentl. Recht I, S. 124 fg.;
Gaupp, Württ. Staatsrecht S. 144 fg.; Perels u. Spilling S. 22; Pieper 8.49,
50; Seydel Bd. 2, S. 223fg.; Wielandt, Badisches Staatsrecht S. 125; Bauer
in Hirths Annalen 1902, S. 886 ff. Besser Girginoff, Der bindende Befehl im Straf-