Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 48. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung. 469 
I. Die strafrechtlichen Folgen. 
Welche Pflichtverletzungen eines Beamten eine öffentliche Strafe 
nach sich ziehen, läßt sich nicht aus dem Begriff des Staatsamtes logisch 
herleiten oder a priori konstruieren !,. Es ist dies vielmehr nur nach 
den positiven Bestimmungen des Strafgesetzes festzustellen und Gründe 
der Gesetzgebungspolitik allein entscheiden darüber, welche Handlungen 
oder Unterlassungen eines Beamten als so schwere Verletzungen der 
Rechtsordnung oder als so gefährliche Bedrohungen der öffentlichen 
Wohlfahrt erscheinen, daß der Staat mit den Mitteln des Strafrechtes 
sich gegen sie wenden muß. Es versteht sich nach dem Grundsatz 
nulla poena sine lege von selbst, daß eine öffentliche Bestrafung eines 
Beamten nur dann eintreten kann, wenn seine Handlung den Voraus- 
setzungen einer bestimmten Strafandrohung entspricht; daß dagegen 
die frivolste Verletzung der Amtspflicht und das unwürdigste Verhalten 
eines Beamten keine strafrechtliche Ahndung finden kann, wenn der 
Tatbestand eines speziellen Delikts dadurch nicht gegeben ist. Dadurch 
unterscheidet sich in höchst charakteristischer Art die öffentliche Be- 
strafung von der disziplinarischen. Es gibt kein (kriminelles) Verbrechen 
oder Vergehen der Amtspflichtverletzung; sondern es gibt nur einzelne, 
bestimmt normierte Verletzungen der Amtspflicht, welche nicht bloß 
das zwischen dem Staat und dem Beamten bestehende Dienstverhältnis, 
sondern die allgemeine staatliche Ordnung, das gesellschaftliche Zu- 
sammenleben im Staate stören und deshalb mit öffentlicher Strafe 
bedroht sind. Im Gegensatz dazu gibt es kein System der Disziplinar- 
vergehen, keine durch festbestimmte Tatbestände charakterisierte Arten 
von Disziplinarvergehen, sondern nur ein einziges, generelles, nämlich 
die Verletzung der Amtspflicht, und nur graduell verschieden kann 
die Schwere der Verletzung sein und dementsprechend die Größe der 
Disziplinarstrafe abgestuft werden. 
Die kriminell strafbaren Verletzungen der Amtspflicht zerfallen 
aber wieder in zwei Klassen?). Sie können nämlich entweder bestehen 
in Handlungen, welche an sich und allgemein strafbar sind, welche 
aber mit einer größeren Strafe bedroht sind, falls ein Beamter sie verübt, 
so daß der Umstand, daß ein Beamter der Täter ist, einen Quali- 
1) Vgl. auch Schütze, Lehrbuch des deutschen Strafrechts S. 522 und derselbe 
in Holtzendorffs Rechtslexikon I, S. 62 (2. Aufl); Hecker, Ueber die Grenzen des 
Kriminal- und Disziplinarstrafrechts im Gerichtssaal Bd. 31, S. 481ff.; H. Meyer 
Lehrbuch des deutschen Strafrechts $ 204; G. Meyer, Staatsrecht 8 148, Note 4; 
Zorn], S. 328 u. a. 
2) Vgl. Dollmann im Bluntschli-Braterschen Staatswörterbuch I, S. 219. Ueber 
die systematische Stellung der Amtsvergehen ist zu vergleichen Alois Zucker, 
Skizze zu einer Monographie der Amtsverbrechen, Prag 1870. Für die staatsrechtliche 
Seite dieser Lehre enthält die Schrift nichts. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen 
Staatsrechts $ 178, IV; Löning, Verwaltungsrecht S. 126; Merkel, Lehrbuch des 
deutschen Strafrechts $ 162; Binding im Gerichtssaal Bd. 64, S. 1ff. und im Lehr- 
buch des Strafrechts S. 395 ff.
	        
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