Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

494 $ 48. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung. 
schaft wahrzunehmen haben (8 84, 85)'). Nach Beendigung der Vor- 
untersuchung werden die Akten an die oberste Reichsbehörde einge- 
sandt, nachdem dem Angeschuldigten der Inhalt der erhobenen Beweis- 
mittel mitgeteilt worden ist. Die oberste Reichsbehörde kann mit Rück- 
sicht auf den Ausfall der Voruntersuchung das Verfahren einstellen 
und geeigneten Falles eine Ordnungsstrafe verhängen oder die Ver- 
weisung der Sache vor die Disziplinarkammer beschließen. Im letzteren 
Falle ist von dem Beamten der Staatsanwaltschaft eine Anschuldi- 
gungsschrift anzufertigen, welche dem Angeschuldigten abschriftlich 
mitzuteilen ist. Der Angeschuldigte kann sich des Beistandes eines 
Rechtsanwalts bedienen. Ueber die mündliche Verhandlung gelten 
die gewöhnlichen Vorschriften des Strafprozesses. Sie ist öffent- 
lich; aus besonderen Gründen kann durch Beschluß der Disziplinar- 
kammer die Oeffentlichkeit ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen 
beschränkt werden. Sowohl der Staatsanwaltschaft als dem Angeschul- 
digten steht gegen das Erkenntnis der Disziplinarkammer die Berufung 
an den Disziplinarhof offen, welche binnen einer vierwöchentlichen 
Frist anzumelden ist. ($ 94 bis 117.) 
9. Der Kaiser hat das Recht, die von den Disziplinarbehörden ver- 
hängten Strafen zu erlassen oder zu mildern. ($ 118.) Durch diesen 
Satz wird das Begnadigungsrecht des Kaisers nicht nur auch in Be- 
ziehung auf die mittelbaren Reichsbeamten anerkannt, sondern zu- 
gleich das Begnadigungsrecht der betreffenden Landesherren, welche 
die mittelbaren Reichsbeamten angestellt haben, ausgeschlossen ?). 
10. Für das Disziplinarverfahren werden weder Gebühren noch 
Stempel, sondern nur bare Auslagen in Ansatz gebracht. Die durch 
das förmliche Disziplinarverfahren .entstehenden baren Auslagen ’) 
(Zeugengebühren u. dgl.) hat der Angeschuldigte, wenn er verurteilt 
wird, ganz oder teilweise zu erstatten. Ueber die Erstattungspflicht 
entscheidet das Disziplinarerkenntnis. ($ 124.) Zur Deckung der Kosten 
kann derjenige Teil des Gehalts oder Wartegeldes verwendet werden, 
welcher nach Vorschrift der $ 128, 132 innebehalten wird. 
11. Ueber die Spezialvorschriften, welche hinsichtlich der Marine- 
und Militärbeamten erlassen sind, vgl. oben S. 417 ff. 
1) Da das Disziplinarverfahren zwar dem Strafverfahren nachgebildet, aber 
keine Abart desselben ist und niemals zu einer Öffentlichen Strafe führen kann, so 
ist die Verhaftung, vorläufige Festnahme oder Vorführung des Angeschuldigten un- 
zulässig. (& 94, Abs. 2.) 
2) Ob für die württembergischen Militärbeamten durch Art.5 der 
Militärkonvention vom 21./25. November 1870 eine Ausnahme begründet ist, oder ob 
das daselbst erwähnte Begnadigungsrecht des Königs sich hinsichtlich der Militär- 
beamten auf strafrechtliche Erkenntnisse beschränkt, ist zweifelhaft. Da das Reichs- 
beamtengesetz 8 118 einen Vorbehalt hinsichtlich der württembergischen Militärbe- 
amten nicht macht, so muß es der Militärkonvention derogieren, auch wenn dieselbe 
ursprünglich Disziplinarstrafen mit umfaßt hat. 
3) Die Tagegelder und Reisekosten der zu Sitzungen der entscheidenden Dis- 
ziplinarbehörde reisenden Mitglieder sind nicht hierzu zu rechnen. Kanngießer S. 219.
	        
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