Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

46 8 4. Die Gründung des Deutschen Reiches. 
rung, die zur Ausführung der Verträge erforderlichen Handlungen vor- 
zunehmen. Aber zugleich gehörte zur Ausführung dieser Verträge eine 
Veränderung der bisher geltenden Bundesverfassung, und zwar nicht 
nur redaktionell durch Erwähnung der neu aufgenommenen 
Staaten bei der Bestimmung des Bundesgebiets, der Stimmen im Bundes- 
rat, der Reichstagsabgeordneten, und nicht nur ergänzend 
durch Aufnahme der auf die neu aufgenommenen Staaten bezüglichen 
Sonderbestimmungen hinsichtlich der Bier- und Branntweinsteuer, der 
Post- und Telegraphenverwaltung, des Militärwesens u. s. w.; sondern 
es sollte zugleich die Rechtsordnung, welche für die Mitglieder des 
Norddeutschen Bundes galt, erheblich verändert werden, z. B. durch 
Erweiterung der Bundeskompetenz auf Vereins- und Preßwesen, durch 
Erschwerung der Erfordernisse für Verfassungsänderungen u. s. w. Die 
Abänderung der bestehenden Bundesverfassung war die Bedingung der 
Erweiterung des Bundes. Die Genehmigung der Novemberverträge 
seitens des Reichstages des Norddeutschen Bundes und seitens des 
Bundesrates desselben war daher zugleich Zustimmung zu einer 
Aenderung der Verfassung !,, welche für diesen Fall nach der beson- 
deren Bestimmung des Art. 79 der Verfassung im Wege der einfachen 
Gesetzgebung erfolgen konnte?) Formell wurde aber auch im Nord- 
deutschen Bunde derselbe Weg beschritten, wie in den süddeutschen 
Staaten. Das zu Berlin am 31. Dezember 1870 ausgegebene Bundes- 
gesetzblatt enthält lediglich die Verträge mit Baden-Hessen und Würt- 
temberg und die »Verfassung des Deutschen Bundes« nur als Beilage 
des ersteren; das Bundesgesetzblatt vom 31. Januar 1871 enthält in 
derselben Art den bayerischen Bündnisvertrag. Eine Umgestaltung 
der bisherigen norddeutschen Bundesverfassung zur neu vereinbarten 
Reichsverfassung in der Form des Gesetzes fehlte noch. Es 
war hier einmal das Gegenstück gegeben zu dem häufiger vorkom- 
menden Falle, daß die Form des Gesetzes Anwendung findet, wenn 
es sich nicht um Akte der Gesetzgebung im materiellen Sinne handelt; 
änderungen vor, welche sowohl vom Bundesrat und von Bayern, als auch von den 
anderen süddeutschen Staaten akzeptiert wurden. 
1) Wenn Zorn I, S. 48 behauptet, daß das Gesetz des Norddeutschen Bundes 
ganz dieselbe Bedeutung habe wie die Gesetze der vier süddeutschen Staaten, 
so steht damit seine eigene Annahme, daß der Norddeutsche Bund völlig weggefallen 
sei, im Widerspruch, da er dies von Bayern, Württemberg u. s. w. doch nicht wird 
behaupten wollen. Wäre die Behauptung Zorns richtig, so müßte innerhalb des 
Reiches der Norddeutsche Bund als Einheit, gleichsam als engerer Bundesstaat neben 
Bayern, Württemberg u. s. w. fortbestehen und das Reich würde nur 5 Mitglie- 
der, darunter ein aus 22 Untermitgliedern bestehendes, haben. Zorn erkennt dies 
in der 2. Aufl., S. 49, Note 14 selbst als richtig an, hält aber an seiner Ansicht fest; 
„praktisch bedeutungslos“ — wie er meint — wäre diese Konsequenz keineswegs. 
2) Die Vorlage der Verträge, sowie die nachträgliche Aenderung derselben durch 
Aufnahme der Worte „Kaiser“ und „Reich“ wurde als Gesetzesvorlage behandelt, d.h. 
einer dreimaligen Beratung unterzogen. Vgl. auch die Bemerkung des Präsidenten 
Simson, Stenogr. Bericht des II. außerordentl. Reichstags 1870, S. 151.
	        
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