Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

0 85. Die Redaktion der Reichsverfassung. 
enthält, zu Berlin den 20. April 1871 ausgegeben worden ist, so ist 
nach Art. 2 diese Ablösung der alten (November-)Redaktion durch die 
neue Redaktion im ganzen Reiche am 4. Mai 1871 erfolgt. 
Das Inkrafttreten dieser Verfassungsredaktion ist nicht mehr als 
Vertragserfüllung anzusehen und beruht nicht auf den vertragsmäßigen 
Vereinbarungen, sondern es beruht auf der gesetzgebenden Gewalt des 
Reiches, wie dieselbe durch die Verfassung vom 1. Januar 1871 be- 
gründet worden war. Das Publikationsgesetz hat die gewöhnliche Ein- 
gangsformel der Reichsgesetze: »Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden 
Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen hiermit im 
Namen des Deutschen Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bundes- 
rates und des Reichstages.« 
2. Die im Art. 80 der in den Novemberverträgen vereinbarten Ver- 
fassung enthaltenen Uebergangsbestimmungen über die Einführung der 
im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in den süddeutschen 
Staaten sind durch $2 des Publikationsgesetzes in Kraft erhalten wor- 
den. Es wird zugleich beigefügt: »Die dort bezeichneten Gesetze sind 
Reichsgesetze.« Es wird dadurch der Rechtsgrund ihrer Geltung an- 
gegeben; sie gelten nicht als gleichlautende Landesgesetze, über deren 
Einführung die deutschen Staaten sich verständigt haben, wie ehemals 
zur Zeit des früheren Bundes über Wechselordnung und Handels- 
gesetzbuch, sondern sie gelten, weil das Reich sie erlassen hat. 
Dasselbe gilt auch für das Königreich Bayern, in welchem durch das 
Reichsgesetz vom 22. April 1871 (Reichsgesetzblatt S. 87) zahlreiche 
norddeutsche Bundesgesetze »als Reichsgesetze« eingeführt worden sind. 
3. Endlich bestimmt $ 3: »Die Vereinbarungen in dem zu Ver- 
sailles am 15. November 1870 aufgenommenen Protokoll, in der Ver- 
handlung zu Berlin am 25. November 1870, dem Schlußprotokoll vom 
23. November 1870, sowie unter IV des Vertrages mit Bayern vom 
23. November 1870 werden durch dieses Gesetz nicht be 
rührt. Als Grund, warum diese Bestimmungen nicht in die Ver- 
fassung selbst aufgenommen worden sind, wird in den Motiven!) an- 
gegeben: »ihr teils vorübergehender, teils erläuternder, teils admini- 
strativer Charakter«; hinzugefügt wird: »Ihre fortdauernde Geltung ist 
durch 8 3 des Einf.-Gesetzes außer Zweifel gestellt.« 
Der 8 3 verhält sich aber diesen Bestimmungen gegenüber ganz 
negativ: er konstatiert nur, daß das Publikationsgesetz der Reichsver- 
fassung »sie nicht berührt«: er stattet weder die Geltung der Bestim- 
mungen mit einem neuen Rechtsgrunde, dem der gesetzlichen Sank- 
tion aus, noch verändert er den ursprünglichen Charakter ihrer Fest- 
stellung?). Soweit die Bestimmungen der Schlußprotokolle etc. aus 
sachlichen oder rechtlichen Gründen unwirksam geworden oder ihre 
Kraft verloren haben, werden sie durch $ 3 des Einf.-Gesetzes nicht 
gestützt und aufrecht erhalten oder gar wieder hergestellt. 
1) Reichstag 1871. Drucksachen Nr. 4. 2) Vgl. Hänel, Studien I, S. 89.
	        
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