Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 7. Staatenbund und Bundesstaat. 57 
Rechtssubjekt, die Sozietät ein Rechtsverhältnis. So ist 
auch der Staatenbund ein Rechtsverhältnis unter Staaten, also kein 
Rechtssubjekt; der Staat dagegen eine organisierte Einheit, eine Person, 
also kein Rechtsverhältnis. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, 
daß zwischen dem Staat und seinen Mitgliedern Rechtsverhältnisse be- 
stehen, wie auch zwischen den Korporationen des Privatrechts und 
ihren Mitgliedern. Der Staatenverein, mögen demselben noch so weit- 
reichende und wichtige staatliche Aufgaben zugewiesen sein, ist seiner 
juristischen Natur nach kein Gebilde des Staatsrechts, sondern des 
Völkerrechts; jeder Staat dagegen, mag sein Gefüge noch so locker und 
der Zusammenhang seiner Glieder noch so lose sein, schließt, soweit 
die staatliche Organisation reicht, die Anwendung völkerrechtlicher 
Grundsätze aus. Die rechtliche Grundlage des Staatenvereins wie der 
Sozietät ist der Vertrag, die rechtliche Grundlage des Staates wie der 
Korporation des Privatrechts ist die Verfassung, das Statut. 
Die juristische Persönlichkeit des Staates besteht darin, daß der 
Staat eigene Herrschaftsrechte behufs Durchführung seiner Auf- 
gaben und Pflichten und einen selbständigen Herrschaftswillen 
hat. Gerade darin liegt das Unterscheidende aller Arten von Staaten, 
gegenüber allen Arten von Staatenvereinen. Bei dem Staatenbund ist 
der Wille des Bundes nur der Ausdruck des gemeinsamen Willens der 
Mitglieder; und zwar auch dann, wenn die Einrichtung getroffen ist, 
daß die Minorität ihren Willen dem der Majorität unterwirft. Dagegen 
bei dem Staate, auch dem zusammengesetzten, ist der Wille des Staates 
verschieden von dem Willen seiner Mitglieder; er ist nicht die Summe 
ihrer Willen, sondern ein ihnen gegenüber selbständiger Wille, 
auch wenn die Mitglieder berufen sind, an dem Zustandekommen des 
Staatswillens mitzuwirken. Bei dem Staatenbunde stehen die öffent- 
lichen Herrschaftsrechte der einzelnen verbundenen Staaten jedem für 
sein Gebiet zu, wenngleich die Einrichtung besteht, daß diese Rechte 
gemeinschaftlich oder übereinstimmend ausgeübt werden '. Die dem 
Staate, auch dem zusammıengesetzten, zustehenden Hobeitsrechte sind 
nicht Rechte seiner Mitglieder, die der Staat gleichsam als gemein- 
schaftlicher Verwalter für alle ausübt, sondern diese Rechte stehen dem 
Staateselbständigzu; die Mitglieder haben keinen Anteil an ihnen, 
auch dann nicht, wenn sie selbst zur Ausübung dieser Rechte berufen 
sind. Die Rechte des zusammengesetzten Staates sind nicht die Rechte 
der Mitglieder, sondern Rechte über die Mitglieder. 
‚ Hieraus folgt, daß bei dem völkerrechtlichen Verbande von Staaten 
die Mitglieder selbst die Subjekte der höchsten Rechtsmacht sind, wäh- 
rend bei der Vereinigung von Staaten zu einem zusammengesetzten 
Staatswesen eine Gewalt vorhanden ist, welche über den Gliedstaaten 
steht und sie rechtlich beherrscht, die letzteren also nicht die oberste 
Gewalt haben. Die oberste, höchste Rechtsmacht, welche keine andere 
1) So z. B. beim Deutschen Zollverein v. 1867—1870.
	        
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