Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

Vorwort zur zweiten Auflage. IX 
duellen Charakter, den es in der ersten Auflage hatte, möglichst zu 
wahren und insbesondere diejenigen Ausführungen, welche den Anstoß 
zu theoretischen Erörterungen pro et contra gegeben oder auf die 
Praxis Einfluß ausgeübt haben, soweit es tunlich war, unverändert her- 
über zu nehmen. Vor allem ist die Methode, welche bei der Bearbei- 
tung der ersten Auflage befolgt worden ist, auch bei der Umarbeitung 
streng innegehalten worden. Auf die zahlreichen und scharfen Angriffe, 
welche gegen dieselbe gerichtet worden sind, habe ich nur folgendes 
zu erwidern. Ich weiß sehr wohl, daß die ausschließliche Herr- 
schaft der logischen Behandlungsart des Rechts eine höchst nachteilige 
Einseitigkeit wäre und in gewisser Beziehung die Verkümmerung unserer 
Wissenschaft herbeiführen würde. Ich verkenne weder die Bedeutung 
rechtshistorischer Forschungen, denen ich selbst lange Zeit mit Eifer 
mich gewidmet habe, noch den Wert, welchen Geschichte, Volkswirt- 
schaftslehre, Politik und Philosophie für die Erkenntnis des Rechts 
haben. Die Dogmatik ist nicht die einzige Seite der Rechtswissen- 
schaft, aber sie ist doch eine derselben. Die wissenschaftliche Aufgabe 
der Dogmatik eines bestimmten positiven Rechts liegt aber in der 
Konstruktion der Rechtsinstitute, in der Zurückführung der einzelnen 
Rechtssätze auf allgemeinere Begriffe und andererseits in der Herlei- 
tung der aus diesen Begriffen sich ergebenden Folgerungen. Dies ist, 
abgesehen von der Erforschung der geltenden positiven Rechtssätze, 
d.h. der vollständigen Kenntnis und Beherrschung des zu bearbeiten- 
den Stoffes, eine rein logische Denktätigkeit. Zur Lösung dieser Auf- 
gabe gibt es kein anderes Mittel als die Logik; dieselbe läßt sich für 
diesen Zweck durch nichts ersetzen; alle historischen, politischen und 
philosophischen Betrachtungen — so wertvoll sie an und für sich sein 
mögen — sind für die Dogmatik eines konkreten Rechtsstoffes ohne 
Belang und dienen nur zu häufig dazu, den Mangel an konstruktiver 
Arbeit zu verhüllen. Ich begreife es vollkommen, daß jemand der 
Rechtsdogmatik keinen Geschmack abgewinnen kann und es vorzieht, 
vergangene Zeiten zu erforschen oder die Einrichtungen verschiedener 
Völker zu vergleichen oder die nützlichen und schädlichen Folgen 
gewisser staatlicher Institutionen zu erwägen; ich verstehe es aber 
nicht, wenn jemand einer dogmatischen Behandlung es zum Vorwurf 
macht, daß sie mit logischen Schlußfolgerungen operiert, statt mit 
historischen Untersuchungen und politischen Erörterungen. Von einer 
Ueberschätzung der juristischen Dogmatik weiß ich mich frei, und ich 
bin weit entfernt davon, das alleinige Ziel aller rechtswissenschaft- 
lichen Arbeiten in einer möglichst folgerichtigen Dogmatik des gelten- 
den Rechts zu erblicken; aber ich kann es nicht als richtig anerkennen, 
wenn jemand der Dogmatik andere Aufgaben stellt als die gewissen- 
hafte und vollständige Feststellung des positiven Rechtsstoffes und die 
logische Beherrschung desselben durch Begriffe. Ich habe mich auf 
eine Dogmatik des gegenwärtigen deutschen Reichsstaatsrechts be-
	        
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