& 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 63
oberste, höchste, nur sich selbst bestimmende Macht, so schließt dieser
Begriff das Merkmal der Unbeschränktheit logisch ein und folglich
auch das Merkmal des Unteilbarkeit, denn eine geteilte Souveränität
wäre eine beschränkte Souveränität, eine halbe Souveränität, die nicht,
wie Heffter, Völkerrecht S. 19, sagt, beinahe ein Widerspruch«,
sondern eine vollkommene contradictio in adjecto ist!). |
Es ist in der Tat eine Chimäre, die staatlichen Aufgaben dergestalt
in zwei Teile zerlegen zu wollen, daß auf jedem dieser beiden Teile
eine gesonderte Staatsgewalt unabhängig von der anderen herrsche.
Das Gesamtleben der Nation läßt sich so wenig auseinanderreißen, wie
das Leben des Menschen; alle Aufgaben und Zwecke des Staates und
demgemäß alle Einrichtungen und Herrschaftsrechte des Staates stehen
in Wechselwirkung und bestimmen sich gegenseitig. Keine Seite des
staatlichen Lebens läßt sich isolieren und ohne Rücksicht auf die ge-
samte Ordnung des Staates für sich verfolgen. Es erhebt sich daher
sofort die Frage, ob die Einzelstaatsgewalt bei der Durchführung der
ihr verbliebenen staatlichen Aufgaben sich innerhalb der von der Ge-
samtstaatsgewatt aufgestellten Normen halten muß, oder ob umgekehri
die in den Einzelstaaten bestehenden Normen eine Schranke bilden
für die Ausübung der Zentralstaatsgewalt. Findet die Einzelstaatsge-
walt an den von der Zentralgewalt aufgestellten Normen eine Schranke,
welche ihr von Außen, von einem ihr fremden Willen gesetzt ist, so
ist damit ihre Souveränität verneint; sie ist dann auch auf dem ihr
verbliebenen Felde staatlicher Tätigkeit nicht mehr souverän, da sie
auch auf diesem Gebiete unmittelbar oder mittelbar die Einwirkungen
der Zentralgewalt verspürt und sich ihnen zu fügen rechtlich ver-
bunden ist?).
Ebenso ist es eine Chimäre, die Kompetenz der Gesamtstaatsgewall
in der Art von der Kompetenz der Einzelstaatsgewalt abgrenzen zu
wollen, daß kein Gebiet übrig bleibt, für welches es zweifelhaft ist,
welcher Staatsgewalt die Kompetenz zusteht und daß die Abgrenzung
für alle Zeit unabänderlich dieselbe bleibt. Es entsteht also auch hier
die Frage, wer hat den Zweifel über die Kompetenzgrenze zu entschei-
den und wer hat über eine Veränderung der Kompetenz zu befinden.
Weisen die Einzelstaaten durch ihren Willen dem Bunde die Gren-
zen seiner staatlichen Befugnisse zu oder empfangen sie umgekehrt
von der Zentralgewalt die rechtliche Begrenzung ihrer Willenssphäre?
selbe. Die Ansicht von Waitz ist wiederholt in Schulzes Preuß. Staatsrecht I, S. 140,
auf welches sich Sarwe y, Staatsrecht von Württemberg I, S. 39 beruft; in seinem
Deutschen Staatsrecht hat aber Schulze diese Ausführung fortgelassen und es vor-
Sezogen, diese grundlegende Frage ganz mit Stillschweigen zu übergehen.
2 Hierauf zuerst nachdrücklich hingewiesen zu haben, ist ein bleibendes Ver-
dienst, welches sich Seydel durch seine Abhandlung in der Tübinger Zeitschrift
ür die gesamten Staatswissenschaften Bd. 28 und in der Einleitung zu seinem Kom-
mentar der Reichsverfassung erworben hat.
2) Vgl. v. Held, Reichsverfassung S. 163.