Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

& 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 71 
die Herrschaft sich betätigt, ist die Vollstreckung von Strafen; kraft 
der Strafgewalt des Herrschers ist der Untertan ihm mit Vermögen, 
Freiheit und Leben unterworfen. Zur Herrschaft gehört nicht nur die 
Befugnis, Strafen festzusetzen, sondern auch die Befugnis, sie zu voll- 
strecken. Zur Herrschaft gehört ferner die Befugnis, die Befolgung 
von Befehlen durch die Anwendung physischer Gewalt zu erzwingen. 
Ohne diese Machtmittel ist der Begriff der Herrschaft hohl und wesen- 
los; Befehle, hinter welchen nicht die rechtliche Befugnis steht, ihre 
Befolgung zu erzwingen oder ihre Nichtbefolgung zu bestrafen, sind 
kraftlos.. Den Gemeinden und anderen Kommunalverbänden fehlen 
diese Machtmittel; ihren Befehlen ist nur dadurch Gehorsam und Er- 
zwingbarkeit gesichert, daß die Macht des Staates hinter ihnen steht, 
und nur insoweit dies der Fall ist, erwecken die Rechte der Kom- 
munen den Anschein eigener Hoheitsrechte. 
Die Zwecke, zu welchen die Staatsgewalt Verwendung findet, 
unterliegen einem stetigen Wechsel und sind nicht durch einen Rechts- 
begriff zu bestimmen; ebenso ist die Abgrenzung zwischen den vom 
Staat uud den von den Gemeinden und höheren Verbänden zu ver- 
wirklichenden Aufgaben eine wechselnde und im Rechtssinn willkür- 
  
  
auch Rosin S. 300; Brie, Staatenverbindungen S. 10 u. 11; Preuß S. 174ff. u.a. 
Den Korporationen kann wohl kraft eigenen Rechts die Befugnis zustehen, ihre Mit- 
glieder zu verpflichten, aber nicht, sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu 
zwingen. Schon Schmitthenner, Grundlagen des allgemeinen Staatsrechts 
1845, S. 276 unterscheidet die vis obligandi und die vis cogendi und bemerkt, daß 
die vollkommene Gewalt nur in der Einheit beider besteht. — Die Pole- 
mik, welche Preuß a.a. 0. gegen die hier entwickelte Ansicht führt, hat mich von 
der Unrichtigkeit derselben nicht überzeugen können. Der Staat wird dadurch nicht 
— wie Preuß sagt — zum „Büttel“, daß er seine Herrschermacht ausübt zum Schutz 
der in der öffentlichen Rechtsordnung als wirksam anerkannten Willensakte der Ge- 
meinden, so wenig er zum „Büttel“ der Untertanen wird, indem er ihre in der Privat- 
rechtsordnung als wirksam anerkannten Ansprüche unter seinen Rechtsschutz nimmt 
und nötigenfalls vollstreckt. Wenn der Staat den Gemeinden unter gewissen Voraus- 
setzungen und für bestimmte Fälle die Handhabung der Zwangsgewalt überträgt, so 
bedient er sich der Gemeinden als seiner Hilfsorgane; die Gemeindebeamten fun- 
gieren als „mittelbare“ Staatsbeamte; den Beteiligten ist die Anrufung der unmittel- 
baren Staatsorgane im Rechtswege oder Beschwerdewege gestattet; der Staat beschränkt 
sich hinsichtlich solcher Akte nicht auf die allgemeine Kommunalaufsicht, sondern 
er verwendet die Gemeinde als seine Unterinstanz oder er gestattet den Gemeinden 
aur eine provisorische Vollstreckung, die er auf Anrufen durch seine eigenen 
Behörden bestätigt oder kassiert. Herrscher ist nicht der Bürgermeister, sondern 
der König. Das offenbart sich in dem allgemeinen politischen Empfinden und ist eine 
Wahrheit, die man fühlt, auch wenn man über die logische Formulierung derselben 
streiten mag. Man unterscheidet wohl einen eigenen und einen übertragenen Wir- 
kungskreis der Gemeinden; eigene und selbständige Herrschaftsrechte hat sie 
aber in keinem von beiden; denn sie hat weder in dem einen noch dem anderen eine 
ne Strafgewalt oder andere Vollstreckungsmittel als die ihr vom Staat zur Ver- 
sung gestellten. Vgl. auch Lingg, Empirische Untersuchungen etc. (Wien 1890) 
n 211 ff. und besonders Jellinek, System der öffentlichen Rechte $. 275 ff. und 
nschütza.a0.S$, 466.
	        
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