Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

74 & 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 
stellen, bei welcher es an einer souveränen Gewalt gänzlich fehlt, 
so daß weder die herrschende Persönlichkeit selbst, noch eine ihr über- 
geordnete souverän ist, und man kann daher mit v. Gerber (Grundz. 
Ss. 22, Note 5) sagen, daß die Souveränität eine Eigenschaft der voll- 
kommenen Staatsgewalt ist; aber es ist eine willkürliche, haltlose, 
der Geschichte, dem Sprachgebrauch und dem wissenschaftlichen Be. 
griff des Staates widersprechende Behauptung, daß es nichtsouveräne 
Staaten überhaupt nicht geben könne). 
Einer Aufzählung und Erörterung der verschiedenen historischen 
Wege, auf welchen die Entstehung von nichtsouveränen Staaten er- 
folgen kann, bedarf es hier nicht. Es genügt der Hinweis, daß wenn 
mehrere bisher unabhängige Staaten in eine solche Verbindung mit- 
einander treten, daß sie eine höhere Gewalt über sich haben, ihnen 
trotzdem eine Fülle von eigenen Herrschaftsrechten, von Aufgaben für 
die Ordnung des Gemeinwesens und von Machtmitteln zu ihrer Durch- 
führung verbleiben kann. Wenn ihnen diese Herrschermacht zu eige- 
nem Recht zusteht, d. h. nicht kraft Delegation oder Auftrags der ihnen 
übergeordneten (souveränen) Gewalt, und sie dieselbe nach eigener 
Willensbestimmung selbständig zur Geltung bringen und durchführen, 
so hören sie zwar auf, souverän zu sein, aber sie hören nicht auf, 
Staaten zu sein?). 
In Uebereinstimmung hiermit steht auch das Völkerrecht. Nur 
Staaten sind völkerrechtsfähig, d. h. Subjekte internationaler Rechts- 
verhältnisse. Zwischen den völkerrechtlichen und den staatsrecht- 
lichen Kriterien des Staatsbegriffess muß daher Kongruenz bestehen. 
Ein politisches Gemeinwesen, welches im völkerrechtlichen Verkehr 
mit anderen unabhängigen Gemeinwesen als Staat anerkannt ist, kann 
nicht, für sich allein betrachtet, dieser Qualität ermangeln; es kann 
nicht nach außen Staat, nach innen Kommunalverband sein. Man ist 
1) Neuerdings hat Preuß in seinem mehrfach zitierten Werke die Verwendung 
des Souveränitätsbegriffes, den er für die radix malorum der ganzen Wissenschaft des 
öffentlichen Rechts hält, als fehlerhaft, wertlos und irreführend bezeichnet. Unter 
Souveränität versteht er aber die schrankenlose Gewalt des absoluten Staates. In- 
soweit ist sein Kampf ein Streit gegen Windmühlen; denn darüber sind alle einig, 
daß eine derartige Gewalt nicht nur für den heutigen Staatsbegriff nicht wesentlich 
ist, sondern überhaupt nicht verwirklicht werden kann. Wenn er aber auch den Be- 
griff der Souveränität als einer obersten, keineranderen Rechtsmachtun 
tergeordneten Gewalt verwirft, so widerlegt er sich selbst, indem er seine 
„Gebietskörperschaften“ einander eingliedert und schließlich ebenfalls bei einer Ge- 
bietskörperschaft anlangt, welche keiner anderen mehr eingegliedert ist, sondern die 
oberste, höchste, die ihr eingegliederten beherrschende ist. Vgl.Rehm, Krit. Vier- 
teljahrschr. Bd. 32, S. 430 ff.; AnschützS. 471. 
2) Liebe, Studien S. 3l. „Für den Staatsbegriff ist nicht wesentlich die Sou- 
veränität, sondern es sind für ihn wesentlich drei andere Begriffe: Territorium, Un- 
tertanen, Hoheitsrechte. Jeder Vasallenstaat und jeder Gliedstaat im Bundesstaate 
ist daher Staat.“ Uebereinstimmend jetzt auch Jellinek, Gesetz und Verordnung 
S. 201fg.; Löning S. 3äfg.
	        
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