102 8 58. Die Rechtsverordnungen des Reichs.
‘schrieben werden, die Sanktion (der Erlaß) kann dagegen nur von
den Konsuln etc. selbst ausgehen, nicht vom Reichskanzler; jedoch
ist der Reichskanzler befugt, die von dem Konsul etc. erlassenen Poli-
zeiverordnungen aufzuheben, nicht bloß die Aufhebung dem Konsul
anzubefehlen !. Ein anderes Beispiel bietet das Gesetz vom 19. Juni
1883 (Reichsgesetzbl. S. 105), welches den Marinestationschefs
eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen erteilt.
4. Verordnungen der Einzelstaaten. Hier ist es von
Wichtigkeit, die den Einzelstaaten delegierte Befugnis, Ausführungs-
verordnungen zu den Reichsgesetzen zu erlassen, von der den Einzel-
staaten zustehenden Autonomie zu unterscheiden?) Beide haben das
miteinander gemein, daß sie nicht gegen die Reichsgesetze (contra
legem) verstoßen dürfen ®); ferner, daß die Sanktion von der Einzel-
staatsgewalt ausgeht; endlich, daß sie nicht für das ganze Reichsge-
biet, sondern nur für das Gebiet des Einzelstaates Geltung haben. Im
übrigen aber sind sie durchweg verschieden. Bei den autonomi-
schen Anordnungen übt der Staat seine eigene Gesetzgebungsgewalt
aus, bei dem Erlaß von Ausführungsverordnungen eine fremde, ihm
nur delegierte;, nämlich die des Reiches. Die Kraft dieser Verord-
nungen wurzelt in dem Reichsgesetz; sie sind, obgleich von dem Ein-
zelstaat erlassen, ein Bestandteil der Reichsgesetzgebung im materiellen
Sinne des Wortes, und deshalb gehen sie den Landesge-
setzen und folglich auch den Verfassungsgesetzen
der Einzelstaaten vor. Die autonomischen Gesetzgebungsakte
der Einzelstaaten normieren das Gebiet, welches von der Reichsge-
setzgebung freigelassen wird, sei es, daß es der Kompetenz derselben
entzogen ist, oder sei es, daß das Reich es nicht normieren will; sie
sind Anordnungen praeter legem imperii. Die kraft Delegation erlas-
senen Verordnungen können nur solche Materien betreffen, welche
von der Reichsgesetzgebung geregelt sind, und können nur Bestim-
mungen enthalten, welche innerhalb des durch die Regeln des Reichs-
gesetzes gegebenen Rahmens fallen; sie sind Anordnungen intra legem
1) Reichsgesetz vom 10. Juli 1879, $4, Abs. 4. Die Aufhebung ist ein dem Erlaß
korrespondierender Akt, also wie dieser ein Gesetz im materiellen Sinne. Der Reichs-
kanzler hat aber hierfür die Auswahl zwischen zwei Wegen. Entweder kann er durch
Dienstbefehl (Verwaltungsakt) den Konsul anweisen, die von ihm erlassene Verord-
nung aufzuheben; alsdann erfolgt die Aufhebung durch Gesetzgebungsakt des Kon-
suls. Oder der Reichskanzler kann die vom Konsul erlassene Verordnung unmittel-
bar außer Kraft setzen; alsdann vollzieht der Reichskanzler den Gesetzgebungsakt
an Stelle des Konsuls. Dies hat die Folge, daß auch bei Beschreitung des letz-
teren Weges die vom Reichskanzler erlassene Verordnung in den für Konsulatsver-
ordnungen vorgeschriebenen Formen und insbesondere in dem betreffenden Amtsbe-
zirk verkündet werden muß. Vgl. Rosin S. 271, 273.
2) Vgl. Rosina. a. O. S. 71fg.
3) Es sei denn, daß das Reichsgesetz seine Bestimmung nur als eine subsi-
diäre aufstellt oder unter gewissen Voraussetzungen den Erlaß derogierender Be-
stimmungen ausdrücklich gestattet.