Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

154 8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 
Maßgabe, daß dieselbe eine definitive Vereinbarung sein soll '), oder 
in dr Auswechslung einseitiger Urkunden, sogenannter 
Erklärungen, welche von einer Behörde ausgestellt werden ?). Daß 
die Erklärung von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten selbst, 
also für das Deutsche Reich vom Reichskanzler, unterschrieben wird, 
ist nicht notwendig. Der Reichskanzler kann bei diesen Staatsgeschäf- 
ten wie bei anderen sich vertreten lassen. Ja es ist nicht einmal er- 
forderlich, daß die Erklärung vom Auswärtigen Amt ausgeht; auch 
andere Behörden, z. B. das Reichspostamt, das Marineamt usw., können 
mit koordinierten Behörden anderer Staaten Erklärungen austauschen. 
Selbstverständliche Voraussetzung ist aber, daß die Erklärung nur 
solche Gegenstände betrifft, welche zur ausschließlichen Kompetenz 
der Behörde gehören, so daß dieselbe kraft staatlichen Geschäftsauf- 
trages?) oder kraft spezieller Ermächtigung der kompetenten Oberbe- 
hörde befugt ist, die von der Erklärung berührten Angelegenheiten 
selbständig zu regeln*). Hieraus ergibt sich, daß diese Vertragsform 
1) Beispiele dafür bieten das Protokoll mit Italien vom 3. Dezember 1874 und 
mit Belgien vom 8. Oktober 1875 wegen Verzichts auf die Beibringung von Trau- 
Erlaubnisscheinen (Zentralbl. 1875, S. 155 u. 719); mit Frankreich vom 7. Okto- 
ber 1874 wegen Abgrenzung der Diözesen (Reichsgesetzbl. 1874, S. 123); mit Eng- 
land vom 14. April 1875 wegen Deklaration des Art. 6 des Handelsvertrages (Reichs- 
gesetzbl. 1875, S. 199); mit Spanien und England über den Handels- und Schiff- 
fahrtsverkehr im Sulu-Archipel vom 11. März 1877 (Zentralbl. 1877, S. 271). Die letz- 
tere ist dem Reichstage „zur Kenntnis“ gebracht worden. Drucksachen 1877, Bd. 2, 
Nr. 205. 
2) Der Abschluß von Verträgen durch Austausch von Erklärungen geschieht 
überaus häufig; Anwendungsfälle bieten die zahlreichen Uebereinkommen wegen An- 
erkennung der Schiffsvermessungspapiere (z. B. Zentralbl. 1873, S. 163, 316; 1874, 
S. 323; 1876, S. 26, 221 usw.), wegen wechselseitiger Unterstützung Hilfsbedürftiger 
(z. B. Zentralbl. 1873, S. 281; 1874, S. 31; 1875, S. 475), wegen Schutzes der Waren- 
bezeichnung etc. (Reichsgesetzbl. 1872, S. 293; 1873, S. 337; 1875, S. 259, 301; 1876, 
S. 169; 1877, S. 406), wegen gegenseitiger Zulassung Staatsangehöriger zum Armen- 
rechte, wegen Benutzung von Grenzbahnhöfen, wegen Verbürgung der Gegenseitig- 
keit usw. Vgl. auch Pröbst S. 281. Daß selbst Verträge von großer politischer 
Bedeutung in dieser Form geschlossen werden können, beweisen die Vereinbarungen 
mit England und mit Portugal wegen der Abgrenzung der gegenseitigen Interessen- 
sphären in Ost- und Westafrika, welche durch Austausch von Erklärungen der Ge- 
sandten und Minister der auswärtigen Angelegenheiten erfolgt sind >. Okt. 1886 und 
1. Nov. 
30. Dezember 1886); ferner der deutsch-französische Zollvereinsvertrag für die Länder 
an der Sklavenküste vom 25. Mai 1887 und zahlreiche ähnliche Staatsverträge. Aus 
neuester Zeit sind Beispiele die Vereinbarungen mit Oesterreich und Dänemark hin- 
sichtlich des Rechtshilfeverkehrs (RGBl. 1910, S. 871) und mit Schweden über die 
Verlängerung des Handelsvertrags (RGBl. 1910, S. 877). 
3) Vgl. Bd. 1, S. 365 fg. 
4) Vgl. Heffter, Völkerrecht $ 84 (7. Aufl., S. 185). Sind die Vertragsbestim- 
mungen durch einen zum Abschluß nicht kompetenten Bevollmächtigten vereinbart 
oder ist der definitive Abschluß durch ein auf seiten des anderen Kontrahenten lie- 
gendes Hindernis verzögert, so kann auch die Ratifikation durch den Reichskanz- 
ler vorbehalten werden. So ist z. B. die Uebereinkunft mit der Schweiz vom
	        
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