8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 155
niemals anwendbar ist, wenn die in der Erklärung abgegebenen Ver-
sprechungen mit den Gesetzen oder den Verordnungen des Kaisers,
des Bundesrates oder einer höheren Verwaltungsinstanz in Widerspruch
sich befinden oder wenn sie Geldmittel erfordern, welche noch nicht
im Staatshaushaltsgesetz bewilligt sind. Da die auswärtige Regierung
darüber nur schwer eine formelle Gewißheit sich verschaffen kann, so
wird auch sie nur bei geringfügigen Gegenständen, deren Erledigung
zweifellos den Verwaltungsbehörden obliegt, auf diese Form eingehen!).
Wenn diese Form aber unter dem Einverständnis beider Staaten ge-
wählt worden ist und wenn materiell die Minister, Gesandten, Behör-
den usw., welche die Urkunden unterzeichnet haben, innerhalb ihrer
Kompetenz gehandelt haben, so ist die Uebereinkunft im juristischen
Sinn ein gültiger Staatsvertrag mit voller völkerrechtlicher Wirksamkeit.
2. Diesolenne Vertragsform ist die übliche. Die Minister
oder Gesandten sind zwar beauftragt, die Verhandlungen zu führen
und einen Vertragsentwurf zu vereinbaren und definitiv festzustellen,
aber sie sind regelmäßig?) nicht bevollmächtigt, in Vertretung des
Souveräns Namens des Staates ein internationales Rechtsgeschäft abzu-
schließen. Der Abschluß erfolgt vielmehr durch die Ausstellung einer
Urkunde, welche vom Souverän selbst unterschrieben, mit dem Staats-
siegel versehen und von dem Minister kontrasigniert ist. Man nennt
August 1873 wegen Errichtung einer deutschen Zollabfertigungsstelle in Basel seitens
der Schweiz vonderBundesversammlung genehmigt und formell ratifiziert
worden, während seitens des Deutschen Reichs die Ratifikation folgende Form hat:
„vorstehende Uebereinkunft wird im Namen des Deutschen Reichs genehmigt. Ber-
lin 23. August 1873. Der Reichskanzler. In Vertretung Delbrück.“ (Amtl. Gesetz-
sammlung der schweiz. Eidgenossenschaft 1874, Bd. 11, S. 364.) An die Stelle ist jetzt
der solenne Staatsvertrag vom 16. August 1905 (RGBl. 1906, S. 349) getreten. Die
Frage, in welcher Form Vereinbarungen abgeschlossen werden sollen, ist schon häufig
zum Gegenstand der Beschlußfassung des Bundesrates gemacht worden. Vgl. z.B.
Protokolle 1874, 8 34; 1875, $ 185, 200, 237. Besondere internationale Festsetzungen
über den Abschluß von Vereinbarungen durch Austausch von Erklärungen enthält der
Weltpostvertrag vom 26. Mai 1906, Art. 20, 26 Ziff. 4.
1) Wenn bei dem Austausch der Erklärungen oder bei den zwischen den Ver-
waltungsbehörden getroffenen Vereinbarungen dieRatifikation des Kaisers vor-
behalten wird, so ist die Vertragsschließung eine solenne. Vgl. z. B. die Vereinba-
rungen zwischen dem Generalpostamt des Norddeutschen Bundes mit der Post-
verwaltung von Nordamerika vom 21. Oktober 1867 (Bundesgesetzbl. 1868, S. 26) und
mit dem Generalpostamt von England vom 25. April 1970 (Bundesgesetzbl. 1870, S. 565).
Eine in nicht solenner Form geschlossene Uebereinkunft kann in einen formellen
Staatsvertrag umgewandelt werden. Ein Beispiel liefert der Vertrag mit den Nie-
derlanden vom 12. Oktober 1876, der das Protokoll vom 17. Mai 1876 bestätigt
(Reichsgesetzbl. 1877, S. 539) und die in der vorigen Note erwähnte Uebereinkunft
mit der Schweiz.
2) Ueber einzelne Ausnahmen siehe oben S. 153, Note 1.
3) Daß auch Staatsverträge des Reiches vom Reichskanzler kontrasigniert wer-
den müssen, entspricht ebensowohl dem völkerrechtlichen Gebrauch als den allge-
meinen Prinzipien des konstitutionellen Staatsrechts. Die Reichsverfassung,
Art. 17, stellt das Erfordernis der Gegenzeichnung allerdings nur „für Anordnungen