8 64. Der Begriff der Verwaltung. 181
wollte, daß zum Begriff des Gesetzes eine allgemeine Rechtsvorschrift
gehört (siehe oben S. 2fg.), so istes doch zweifellos, daß Verwaltungs-
handlungen sich keineswegs auf die Regelung individueller oder kon-
kreter Angelegenheiten beschränken!'). Dienstanweisungen für die
Post- und Telegraphenbehörden, für die Zollbehörden, für die Inten-
danturen usw. enthalten Vorschriften, welche auf eine unendliche
Masse von Einzelfällen Anwendung finden, und sie können es hinsicht-
lich der »Allgemeinheit« mit jedem Gesetze aufnehmen. Der Unter-
schied ist vielmehr viel tiefer begründet. Die Lösung dieser Frage
erfordert eine Erörterung des Wesens des Rechtssatzes.
Das Recht besteht in der Abgrenzung der Befugnisse und
Pflichten der einzelnen Subjekte gegeneinander; es setzt seinem Wesen
nach eine Mehrheit von Willensträgern voraus, die miteinander
kollidieren können; die Rechtsordnung ist eine Macht über den
Einzelnen. Verhaltungsregeln, die ein einzelner sich selbst gibt, können
niemals Rechtsvorschriften sein; niemand kann gegen sich selbst
einen Rechtsanspruch oder eine Rechtspflicht haben oder gegen sich
selbst eine Rechtsverletzung verüben. Nur insoweit die Willenssphäre
eines Subjekts durch Gebote, Verbote, Gewährungen gegen fremde
Willenssphären abgegrenzt ist, und soweit ein Anspruch, eine Ver-
pflichtung, ein Schutz gegen Eingriffe oder gegen Widerstand anderen
gegenüber begründet ist, waltet die Rechtsordnung. Dies gilt auch
vom Staat, insofern er nicht als der Schöpfer der Rechtsordnung selbst,
sondern als eine innerhalb derselben handelnde und waltende Persön-
lichkeit erscheint. Der Staat ist trotz seiner Herrschermacht, die ihn
befähigt, das Recht selbst zu gestalten, in seiner verwaltenden Tätigkeit
unter die von ihm gesetzte Rechtsordnung gestellt; der Willenssphäre
der zur Verwaltung berufenen Behörden sind rechtliche Schranken
gesetzt gegenüber den Individuen, den Kommunen, den anderen
Organen des Staates selbst?). Aber nur da, wo die Willenssphäre des
verwaltenden Staates (der Verwaltung) mit irgend einer anderen vom
Recht anerkannten Willenssphäre in Kontakt kommt, wo ein wechsel-
weiser Eingriff, eine Kollision, eine Ausgleichung möglich ist, kann für
einen Rechtssatz Raum sein. Regeln dagegen, die sich innerhalb
der Verwaltung selbst halten, die in keiner Richtung einem außerhalb
derselben stehenden Subjekte Beschränkungen auferlegen oder Befug-
nisse einräumen, ihm nichts gewähren und nichts entziehen, ihm nichts
gebieten und nichts verbieten, sind keine Rechtsvorschriften ?. Wenn
die Verwaltung ihr eigenes Verhalten innerhalb des Bereiches ihrer
freien Willensbestimmung regelt, so greift dies ebensowenig in die
Sphäre des Rechtes ein, als wenn ein Privatmann Anordnungen über
die Führung seines Haushalts, seiner Fabrik, seiner Landwirtschaft
erteilt oder als wenn ein Aktienverein, eine Genossenschaft, eine Kom-
1) Rosin S. 28; Bernatzik S. 4fg.; Anschütz S. 60 ff.
2) RosinS. 2fg. 3) Rosin S. 29.