S 64. Der Begriff der Verwaltung. 183
nicht eine gesetzliche Ermächtigung hierzu erteilt worden ist. Fehlt
es an der letzteren, so ergibt sich hieraus von selbst, daß die in der
Form von Verordnungen erlassenen Vorschriften die Kraft und Wir-
kung von Rechtsvorschriften nicht haben, sondern nur als Verwaltungs-
verordnung gelten können. Ist aber auf Grund gesetzlicher Dele-
gation eine Verordnung ergangen und ist es nach dem Inhalt
derselben zweifelhaft, obsie als Verwaltungs- oder als Rechts-
verordnung gemeint ist, so beantwortet sich diese Frage darnach, ob
die Verordnung ordnungsmäßig verkündet worden ist oder nicht ').
Denn fehlt es an derordnungsmäßigen Verkündigung, so hat
die Verordnung als Rechtsverordnung keine Gültigkeit und kann nur
als Verwaltungsvorschrift gelten; ist dagegen die Verordnung ordnungs-
mäßig verkündet, so ergibt sich aus dieser Tatsache selbst, daß sie als
Rechtsverordnung gewollt ist, da bloße Verwaltungsvorschriften
nicht verkündet werden’). Für das Reichsstaatsrecht ergibt sich daher
der einfache Satz, daß alle nicht im Reichsgesetzblatt verkündeten
Verordnungen nur die Kraft von Verwaltungsverordnungen haben ?).
Wenn endlich die Form des Gesetzes angewendet worden ist
und der Inhalt als Rechtsvorschrift wirksam sein kann, so ist anzu-
nehmen, daß er auch Rechtsvorschrift sein soll; denn man muß
davon ausgehen, daß die Form dem Inhalt adäquat ist und daß die
Gesetzesform daher nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Form
der Verordnung nicht ausreicht. Fehlt es freilich an einem Rechts-
inhalt, so kann nicht durch Beobachtung der Gesetzesform aus einem
Verwaltungsakt eine Rechtsvorschrift werden.
Zu den Anordnungen, welche man ebensowohl unter dem Ge-
sichtspunkte der (materiellen) Gesetzgebung als unter dem der Ver-
waltung auffassen kann, gehört namentlich die Einrichtung des Ver-
1) Der Inhalt der Verordnung ist daher keineswegs gleichgültig, sondern für
die Entscheidung, ob eine Willenserklärung des Staates Rechtssatz oder Verwaltungs-
befehl sei, in erster Linie maßgebend. Dies scheint Tezner in Grünhuts Zeitschr.
Bd. 21, S. 187 zu übersehen.
2) Siehe den folgenden Paragraphen.
3) Vgl. hierüber und über die Ausnahmen von dieser Regel oben S. 108 fg.
Wenn man freilich mit dem Reichsgericht und Dambitsch u. A. annimmt,
daß Rechtsverordnungen im Reichsgesetzblatt nicht verkündigt zu werden brauchen,
sondern die Art der Verkündigung dem Belieben der Regierung überlassen ist, so
versagt auch dieses formelle Kriterium und es entscheidet allein die richterliche
Willkür, ob eine in einer Verordnung enthaltene Regel nur als Dienstvorschrift
oder als Rechtssatz Geltung habe. So sind z. B. die im Zentralblatt abgedruckten
„Grundzüge für die Anstellung der Militäranwärter“ von der Reichspostbehörde und
dem Kammergericht für eine Verwaltungsverordnung, vom Reichsgericht (Entsch.
Bd. 40, S. 69) für eine Rechtsverordnung erachtet worden. In der Begründung des
reichsgerichtlichen Urteils ist aber nur davon die Rede, daß der Bundesrat kraft ge-
setzlicher Delegation befugt ist, eine Rechtsverordnung dieses Inhalts zu erlassen,
aber nicht davon, an welchem Merkmal man erkennen kann, ob die erlassene Ver-
ordnung eine allgemeine Verwaltungsvorschrift (Reichsverf. Art. 7, Ziffer 2) oder eine
Rechtsvorschrift ist.