Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

322 8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 
jetzigen Reiche war es kein Subjekt staatlicher Rechte, sondern ein 
Gebietsteill des französischen Staates. Durch den Präliminarfrieden 
vom 26. Februar 1871 Art. 1 »verzichtet Frankreich zu gunsten des 
Deutschen Reiches auf alle seine Rechte und Ansprüche auf diejenigen 
Gebiete, welche östlich von der nachstehend verzeichneten Grenze be- 
legen sind«. — — »Das Deutsche Reich wird diese Gebiete für immer 
mit vollem Souveränitäts- und Eigentumsrechte besitzen.« 
Hierdurch wurde die volle Souveränität über diese Gebiete im 
völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Sinne auf das Reich über- 
tragen ’). Es gab kein dem Reich gegenüber selbständiges und unab- 
hängiges Subjekt, welchem die Landeshoheit über Elsaß-Lothringen als 
eigenes Recht zustand, sondern das Reichsland war lediglich Ob- 
jekt der Reichsgewalt, welches zur unbeschränkten Verfügung 
der letzteren stand. Es wäre nun allerdings möglich gewesen, daß 
das Reich vor der Aufnahme Elsaß-Lothringens in den Reichsverband 
oder gleichzeitig mit derselben das Reichsland zu einem Staate kon- 
stituiert, ihm eine öÖffentlich-rechtliche Gewalt und damit eine staat- 
liche Persönlichkeit beigelegt hätte. Dies ist aber nicht geschehen. 
Das Reich hat vielmehr seine Hoheitsrechte uneingeschränkt und un- 
geschmälert behalten’. Bei der Vereinigung von Elsaß-Lothringen 
mit dem Reiche waren Regierung und Reichstag darüber völlig ein- 
verstanden, daß das Reichsland ?) den rechtlichen Charakter eines 
Staates nicht erhalten sollte. Die Verhandlungen lassen darüber keinen 
Zweifel ).. Der Kernpunkt in dem Begriff des Reichslandes und der 
l) Der Zeitpunkt, an welchem die Souveränität überging, ist der 2. März 1871, 
der Tag der Ratifikation des Präliminarfriedens. Vgl. Löninga.a. O.S. 182 fg. 
2) Vollkommen unbegründet ist die Behauptung, daß Elsaß-Lothringen ein Recht 
darauf habe, zu einem mit den anderen Bundesstaaten gleichberechtigten Staate ge- 
macht zu werden. Diese Behauptung hat weder in den Vorgängen der Wiedererwer- 
bung. der 3 französischen Departements noch in einem staatlichen Akt des Reichs 
irgend eine Grundlage. 
3) Der Ausdruck „Reichsland“, „unmittelbares Reichsland“ wird offiziell zuerst ge- 
braucht in den Motiven zum Entw. des Vereinigungsgesetzes. Drucks. I, Session 1871, 
Nr. 61, S. 6. Daß man über den staatsrechtl. Begriff eines Reichslandes sich nicht 
vollkommen klar war, ist vielfach offen bekannt worden, am unumwundensten von dem 
Berichterstatter des Reichstages, Abg. Lamey, am 20. Mai 1871 (Stenogr. Berichte 
S. 833). 
4) Motive zum Vereinigungsgesetz sub. I: „Das von Frankreich abgetretene 
Gebiet ist nicht bestimmt, einen mit eigener Staatshoheit bekleideten Bundesstaat zu 
bilden; die Landeshoheit über dasselberuht im Reiche.“ Ferner 
Kommissionsbericht des Reichstags S. 3fg. und S. 16. Staatsminister Del- 
brück in der Reichstagssitzung vom 20. Mai 1871 (Stenogr. Berichte S. 826): „Die 
formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes liegen, welches nicht 
Teil eines Bundesstaates und welches auch selbst kein Bundesstaatist 
— diese formellen Schwierigkeiten, die ich nicht verkenne, können an sich unmöglich 
davon abhalten, dem Lande eine solche Stellung zu geben, wenn man der Ueberzeu- 
gung ist, diese Stellung ist an sich richtig.“ Vgl. ferner die Aeußerungen der Reichs- 
tagsabgeordneten v. Treitschke, Wagener, Lasker in derselben Sitzung des Reichs-
	        
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