8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 219
Reichskanzlers als des obersten und verantwortlichen Chefs der Reichs-
landsverwaltung nichts geändert worden. Tatsächlich aber wurde die
unmittelbare Unterordnung der Landesbehörden unter den Reichskanzler
durchbrochen, die Verwaltung von einer Landesbehörde geführt, die
oberste Leitung des Reichskanzlers nach außen verdeckt, in den laufen-
den Geschäften ohne politische Wichtigkeit beseitigt und dadurch wurde
in Verbindung mit dem Grundsatz, daß die Kosten der Landesver-
waltung von der Landeskasse getragen werden, die Verwaltung des
Reichslandes der der Bundesstaaten angenähert. Ihre tatsächliche
Trennung von der Reichsverwaltung konnte den Anschein erwecken,
als sei sie keine Reichsverwaltung, sondern eine von ihr verschiedene
Staatsverwaltung.
3. Im engen Zusammenhang hiermit steht die Gestaltung des
Beamtenrechts. Aus dem Begriff des Reichslandes ergibt sich die Kon-
sequenz, daß die zur Verwaltung derselben angestellten Beamten
Reichsbeamte sind. Sie werden vom Kaiser oder in seinem Auf-
trage angestellt; der Kaiser ist ihr Dienstherr und zwar in seiner
Eigenschaft als Organ des Reiches; die im $ 1 des Reichsbeamten-
gesetzes gegebene Definition paßt vollkommen auf sie!). Sowie die
reichsländischen Behörden Reichsbehörden waren, waren auch die
bei denselben angestellten Beamte Reichsbeamte. Was unbezweifelt
von dem im Reichsamt für Elsaß-Lothringen angestellten Beamten
galt, mußte auch für alle anderen reichsländischen Beamten gelten.
Auf ihr Dienstverhältnis mußte daher das Reichsbeamtengesetz
Anwendung finden, ohne daß es einer besonderen Einführung be-
durft hätte. Nur mußte dieses Gesetz durch einige Anordnungen
ergänzt werden hinsichtlich derjenigen Verwaltungszweige, für welche
Spezialvorschriften erforderlich waren, und selbstverständlich rich-
teten sich alle vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten an
die Landeskasse statt an die Reichskasse. Man hat diesen Weg aber
nicht eingeschlagen, sondern das Reichsbeamtengesetz mit den erfor-
derlichen Ergänzungen durch das Gesetz vom 23. Dezember 1873 als
Landesgesetz für die reichsländischen Reichsbeamten eingeführt.
Dies hatte die doppelte Rechtswirkung, daß einerseits die späteren
reichsgesetzlichen Vorschriften über die Rechtsverhältnisse der Reichs-
beamten auf die els.-lothr. Landesbeamten keine Anwendung fanden,
wenn sie nicht ausdrücklich für dieselben in Geltung gesetzt wurden,
und daß andererseits auch im Wege der Landesgesetzgebung die Rechts-
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1) Die von Leoni S. 128 ff. aufgestellte Behauptung, daß $ 1 des Reichsbe-
amtengesetzes sich nur auf solche Beamte beziehe, zu deren Anstellung der Kaiser
auf Grund der Reichsverfassung oder „eines Reichsgesetzes“ ermächtigt sei, und daß
deshalb die els.-lothr. Beamten keine Reichsbeamten seien, widerlegt sich selbst da-
durch, daß das Ges. v. 9. Juni 1871, welches dem Kaiser die Ausübung der Staats-
gewalt in Els.-Lothr. und damit das Recht zur Ernennung der Beamten überträgt,
ein „Reichsgesetz“ ist.