Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

220 5 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 
vorschriften über die Dienstverhältnisse der Landesbeamten ergänzt 
und verändert werden konnten. Dies ist auch in der Tat nach beiden 
Richtungen geschehen. 
Das gleiche Verfahren hätte auch in jedem Bundesstaat mit 
den gleichen Wirkungen eingeschlagen werden können. Jeder Bundes- 
staat hätte ein Beamtengesetz erlassen können, welches materiell mit 
dem Reichsbeamtengesetz übereinstimmt und sich auf die erforder- 
lichen Modifikationen und Ergänzungen beschränkt. Der Reichslands- 
dienst wurde behandelt als wäre er ein Bundesstaatsdienst; die ein- 
heitliche Kategorie der Reichsbeamten wurde in zwei Kategorien ge- 
spalten. An die Stelle des Reichsdienstes wurde die Vorstellung eines 
Landesdienstes gesetzt, obwohl der Dienstherr und die Dienstgewalt 
für beide identisch waren und der Bundesrat die ihm im Reichsbe- 
amtengesetz zugewiesenen Funktionen auch für die Beamten des Reichs- 
landes auszuüben hatte. Der Reichsgedanke wurde verlassen '!). 
4. Die Gleichstellung des Reichslandes mit den Bundesstaaten fand 
einen besonders prägnanten Ausdruck darin, daß das Reichsgesetz 
über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsange- 
hörigkeit vom 1. Juni 1870 durch das Gesetz vom 8. Januar 1873 in 
Elsaß-Lothringen eingeführt worden ist. Es verhält sich mit der Ein- 
führung dieses Gesetzes ähnlich wie mit der Einführung der Reichs- 
verfassung. Nach S 1 dieses Gesetzes wird die Bundesangehörigkeit 
durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate erworben und sie 
erlischt mit deren Verlust. Da nun das Reichsland kein Staat war, 
so konnte es auch keine elsaß-lothringische Staatsangehörigkeit geben. 
Der begriffliche Unterschied zwischen Staatsbürgerrecht und Reichs- 
bürgerrecht, der für alle deutschen Staaten durchgeführt worden ist, 
hat für das Reichsland keinen Raum. Die Bewohner dieser Gebiete 
waren bis zum Frankfurter Frieden Franzosen; durch den Frieden, 
der die Souveränität über Land und Leute an das Deutsche Reich 
abtrat, wurden sie Deutsche, soweit sie nicht Ausländer waren oder 
von der ihnen vorbehaltenen Auswanderungsfreiheit (sogenannte Option) 
Gebrauch machten. In der Zusatzkonvention zum Frankfurter Frieden 
1) Dagegen kam die Reichslandseigenschaft wieder zur Geltung in dem Reichs- 
gesetz v. 7. Juli 1887 (RGBl. S. 377); „Durch Kaiserl. Verordn. kann mit Zustimmung 
des Bundesrats angeordnet werden, daß eine durch Reichsgesetz erfolgte Abänderung 
reichsgesetzlicher Vorschriften, welche in Els.-Lothr. als Landesrecht gelten, für Els.- 
Lothr. landesrechtliche Anwendung finden soll.“ Der einfache Sinn dieser verzwickten 
Vorschrift besteht darin, daß Abänderungen des Reichsbeamtengesetzes auch für die 
reichsländischen Beamten in Kraft gesetzt werden können, auch ohne daß es der 
Zustimmung des Landesausschusses bedarf. Es sollte eine wesentliche Ungleichheit 
zwischen den Rechtsverhältnissen der Reichsbeamten und der reichsländischen Be- 
amten vermieden werden. Von der Ermächtigung des Gesetzes v.7. Juli 1887 wurde 
noch in der V. v. 19. Oktober 1907 (RGBl. S. 113) Gebrauch gemacht. Die Inkraft- 
setzung von reichsgesetzlichen Vorschriften „als landesrechtliche“ war nur möglich, 
weil Els.-Lothr. Reichsland ist; für keinen Bundesstaat könnte das Reich eine solche 
Bestimmung erlassen.
	        
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