Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

& 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 19 
Die spätere französische Verfassungsentwicklung hat diese Bedeu- 
tung der Promulgation wieder verdunkelt. Schon der Art. 1 des Code 
civ. schreibt der Promulgation eine Wirkung zu, welche nicht ihr, 
sondern der Sanktion zukommt, indem er bestimmt, daß die Gesetze 
vollstreckbar sind en vertu de la promulgation. Vergebens wurde bei 
den Beratungen des Corps l£gislatif ausgeführt, daß diese Bestimmung 
mit dem Wesen der Promulgation im Widerspruch stehe'.. Da dem 
Chef der Regierung in Wahrheit die gesetzgebende Gewalt übertragen 
werden sollte, nach der Verfassung aber die Sanktion der Gesetze dem 
Corps legislatif und nur die Promulgation dem ersten Konsul zustand, 
so begann man das Gesetzbuch mit dem Satze, daß die Gesetze ihre 
verbindliche Kraft erhalten en vertu de la promulgation. Die Redner 
der Regierung, Portalis und Boulay, versuchten die Bedeutung 
des Satzes zu verhüllen ?). 
Nach der Restauration fallen Promulgation und Sanktion wieder 
zusarnmen, in derselben Weise, wie dies 1789 der Fall war. Sowohl 
die Charte von 1814, Art. 22, wie die Charte von 1850, Art. 18 be- 
stimmen: »Le Roi seul sanctionne et promulgue les lois.« Zur Pro- 
mulgation gehört aber nicht nur die authentische Erklärung der 
Sanktion, sondern auch die formelle Bestätigung, daß die Voraussetzung 
der Sanktion, nämlich die Genehmigung des Gesetzes durch die Kam- 
mern, vorhanden ist’). Dagegen legt die Ordonnanz vom 27. Novent- 
ber 1816 dem Worte Promulgation einen völlig verschiedenen Sinn 
unter, indem Art. 1 derselben lautet: »A !’avenirlapromulgation 
des lois et de nos ordonnances rö&sultera de leur insertion au Bulletin 
officiel.« Die Einrückung in das Gesetzblatt ist Verkündigung des 
Gesetzes, nicht Ausfertigung desselben. 
Im heutigen französischen Staatsrecht fallen Sanktion und Pro- 
mulgation wieder ganz auseinander; nach der Verfassung von 1875 
werden die Gesetze von den Kammern sanktioniert, der Präsident hat 
weder das Recht der Zustimmung noch des Veto; dagegen steht es 
1) Der Deputierte,M. Andrieux machte in der Sitzung des Corps legislatif 
vom 23 Frimaire des Jahres X (14. Dezember 1801) geltend: „La promulgation n’est 
en aucune maniere un acte legislatif; elle n’a pour object que de certifier la loi 
et declarer, qu’elle n’a point ete attaquee pour cause d’inconstitutionalite.“ (Locre 
I, S. 438.) Der Redner des Tribunals Favard charakterisierte das Wesen der Pro- 
mulgation, indem er sagte: „La promulgation n’est autre chose que Je cachet du 
gouvernement, qui atteste que la loi qui est presentee aux citoyens a recu tous 
les caracteres qui la constituent loi, et n’a point &te denoncee au Senät Conservateur 
pour cause d’inconstitutionalite.“ (Locre ], S. 534.) 
2) Vgl. Locrel, S. 516. 
3) Das Reglement vom 13. August 1814, Tit. 4, Art. 3 schreibt vor, daß der König 
die Sanktion erteilt, „en faissant inscrire sur la minute, que ladite loi disputee deli- 
beree et adoptee par les deux chambres, sera publiee et enregistree pour &tre ex&cutee 
comme loi de l’Etat.“ Vgl. die entsprechende Bestimmung des Gesetzes vom 9. No- 
vember 1789 oben S. 17, Note 2.
	        
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