S 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 5
ehemaligen Deutschen Bunde konnte die Bundesversammlung durch
Beschluß Rechtsregeln formulieren, sogen. Bundesgesetze machen,
welche an sich keine Gesetzeskraft hatten, denen aber die einzelnen
Bundesstaaten dieselbe zu erteilen verpflichtet waren. Wechselordnung
und Handelsgesetzbuch sind bei ihrem ersten Entstehen von keinem
verfassungsmäßig zur Gesetzgebung berufenen Organe eines deutschen
Staates ihrem Inhalte nach festgestellt oder beschlossen, wohl aber
von den einzelnen Staaten zum Gesetz erklärt oder als Gesetz einge-
führt, d. h. mit Gesetzeskraft ausgestattet worden. Ihre Erklärung zu
Reichsgesetzen änderte nichts an ihrem Inhalte, sondern ersetzte ledig-
lich den Gesetzesbefehl der Einzelstaaten durch den Gesetzesbefehl des
Reiches.
Für mehrere Rechtsgebiete ergehende selbständige Gesetzesbefehle
mit identischem Rechtsinhalt schaffen materiell gemeines Recht; ein
für mehrere Rechtsgebiete verbindlicher Gesetzesbefehl begründet für
dieselben formell gemeines Recht.
Auch innerhalb des einzelnen Staates aber kann die Feststellung
dessen, was Gesetz werden soll, einem anderen Organ obliegen, als
demjenigen, welchem die Sanktion zukommt. Dies ist insbesondere
in der konstitutionellen Monarchie der Falle Der Monarch als der
alleinige Träger der ungeteilten und unteilbaren Staatsgewalt ist allein
imstande, ein Staatsgesetz zu erlassen, d.h. den staatlichen Befehl
seiner Befolgung zu erteilen. Den Inhalt des Gesetzes aber zu be-
stimmen, steht ihm nicht ausschließlich zu; die Volksvertretung hat
vielmehr mit der Regierung den Inhalt zu vereinbaren. Der Wortlaut
der anzuordnenden Rechtsregeln ist bereits vor dem Erlaß des Gesetzes
auf dem im Verfassungsrecht vorgezeichneten Wege fixiert; der Sou-
verän kann an demselben nichts ändern, er hat nur darüber die
Freiheit der Willensentschließung, ob er den Befehl erteilen will, daß
dieser Wortlaut Gesetz werde '). Und nicht bloß die Volksvertretung,
auch die Organe der Provinzial-, Kreis- oder Kommunalverbände oder
andere bei dem Zustandekommen des Gesetzes Beteiligte können ver-
fassungsmäßig einen Anteil an der Feststellung seines Inhaltes haben ’?).
1) Selbstverständlich ergreift der Befehl „ita jus esto“* auch den Inhalt.
Jellinek S. 318. Dies besonders hervorzuheben wäre ganz überflüssig, wenn nicht
der hier entwickelte Gegensatz von Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl mehrfach miß-
verstanden und entstellt worden wäre. An dem beschlossenen Tenor aber darf der
Monarch keinerlei Aenderungen vornehmen, also auch nicht einen Teil des
Entwurfs zum Gesetz erheben. Vgl. hierüber und einen merkwürdigen Rechtsfall,
in welchem hiervon abgewichen worden ist, Fr. Tezner in den Wiener Jurist.
Blättern 1887, S. 62, 75ff.
2) Gegen die Unterscheidung von Gesetzesbefehl und Gesetzesinhalt erheben
Seydelin v. Holtzendorffs Jahrb. 1878, Binding, Krit. Vierteljahrsschr. N. F. II,
S. 549 und Gierke in Grünhuts Zeitschr. VI, S. 229 und in Schmollers Jahrb. VII,
S. 1174 ff. Widerspruch. „Der Gesetzesbefehl“, sagt Gierke, „läßt sich nicht in
formalistischer (?) Weise von der Feststellung des Rechtssatzes losreißen, denn was