6 $ 71. Die Gesandtschaften.
weilig an der Wahrnehmung seiner Geschäfte verhindert ist, so ist
ein bei derselben Regierung beglaubigter Landesgesandter nicht befugt,
den Reichsgesandten zu vertreten und an Stelle desselben die zu des-
sen Geschäftskreise gehörenden Angelegenheiten zu besorgen). Er be-
darf vielmehr dazu einer besonderen Vollmacht und Beauftragung des
Kaisers einerseits und der Erlaubnis seines Landesherrn zur Ueber-
nahme dieser Geschäfte andererseits. In dieser Beziehung ist nun in
dem bayerischen Schlußprotokoll vom 23. November 1870 Art. VII
festgesetzt, daß der Kaiser mit Zustimmung des Königs von Bayern
den königlich bayerischen Gesandten an den Höfen, an welchen solche
beglaubigt sind, Vollmacht erteilen werde, die Reichsgesandten in Ver-
hinderungsfällen zu vertreten. Ohne Zustimmung Bayerns darf daher
an den Höfen, an welchen bayerische Gesandte beglaubigt sind, der
Gesandte eines anderen Staates mit der Vertretung des Reichsgesandten
nicht beauftragt werden, wohl aber ein anderes Mitglied der Reichs-
gesandtschaft (Legationsrat)?).
5. Hinsichtlich des passiven Gesandtschaftsrechts bestehen völlig
analoge Rechtssätze. Die Landesherren der zum Reiche gehörenden
Staaten haben das unumschränkte Recht, Gesandte auswärtiger Staaten
zu empfangen; sie dürfen aber mit denselben nur über die besonderen
Angelegenheiten ihres Landes und Hauses, dagegen über die gemein-
samen Angelegenheiten des Reiches nur mit Wissen und Willen des
Kaisers, resp. Reichskanzlers, Verhandlungen führen.
II. Amtsgeschäfte. Die Gesandten und die bei Gesandtschaf-
ten verwendeten Beamten haben obrigkeitliche Rechte der Natur der
Sache nach in der Regel nicht auszuüben, da ihre Tätigkeit im Aus-
lande, also außerhalb des Herrschaftsgebietes des Reiches, sich voll-
zieht).
1) Hierzu ist vielmehr zunächst der vom Kaiser bestellte Stellvertreter des Reichs-
gesandten, gewöhnlich das älteste Mitglied der Reichsgesandtschaft (Legationsrat),
berufen.
2) Vgl. Dambitsch, Komment. S. 282fg. Anderer Ans. v. Seydel, Kom-
ment. S. 160.
3) Die Polemik, welche Zorn, Annalen 1882, S. 85fg. gegen diese Auffassung
erhebt, beruht auf einer Vermengung der Begriffe „amtlich“ und „obrigkeitlich“. Die
amtliche oder dienstliche Tätigkeit steht im Gegensatz zu der privaten Tätigkeit,
den außeramtlichen Lebensbeziehungen. Der Begriff der Amtstätigkeit ist also
allerdings „nicht davon bedingt, daß im einzelnen Falle ein Untertanenverhältnis zum
praktischen Ausdruck käme“; dagegen hat der Begriff der Obrigkeit (die „über“
Jemandem ist) den Begriff der Untertanenschaft zum logischen Korrelat und
ihr Wesen besteht im Herrschen. Daher ist es m. E. vollkommen falsch, wenn
Zorn behauptet: „jede amtliche Tätigkeit sei Ausübung von Staatsgewalt“ und „Alles,
was Gesandte als solche handeln, handeln sie obrigkeitlich, in Ausübung des
Imperium ihres Staates“. Also wenn z. B. ein Gesandter für seine Regierung ein
Kunstwerk kauft, oder Erhebungen über das Kanalsystem oder die Organisation des
Schulwesens im dienstlichen Auftrag macht, oder an das Auswärtige Amt einen Be-
richt erstattet, oder dem Souverän, bei welchem er beglaubigt ist, ein Geschenk des
Kaisers überreicht oder dergleichen, so übt er das „Imperium des Deutschen Reiches“