$ 73. Das Post- und Telegraphenwesen. 97
Der Reichstag ist in dieser Hinsicht den Reichsbehörden gleichgestellt ').
Von einer Befreiung von der Zahlungspflicht kann in diesen Fällen
im juristischen Sinne nicht gesprochen werden, da die Zahlung
doch nur eine Zahlung des Reichsfiskus an sich selbst wäre?)
In Bayern und Württemberg aber hat der Reichsfiskus in dem ange-
gebenen Umfange allerdings ein Privilegium auf unentgeltliche
Benutzung der Postanstalten dieser beiden Staaten).
Der Mißbrauch einer von der Entrichtung des Portos befreienden
Bezeichnung oder die Verpackung einer portopflichtigen Sendung in
eine andere, welche bei Anwendung einer vorgeschriebenen Bezeich-
nung portofrei befördert wird, ist mit dem vierfachen Betrage des de-
fraudierten Portos, mindestens aber mit einer Geldstrafe von 3 Mark
zu bestrafen‘).
Die Gebühren für die telegraphische Korrespondenz sind
nicht durch Gesetz bestimmt, sondern in der Telegraphenordnung 88
und 9 und im Internationalen Telegraphenvertrag Art. 10 festgesetzt
worden. Ebensowenig ist die Befreiung von Telegraphengebühren ge-
setzlich geregelt. Doch kann auf Grund des Art.50, Abs.2 der Reichs-
verfassung der Kaiser durch Reglement der Reichstelegraphenverwal-
tung Anweisung erteilen, welche Depeschen auf den Reichstelegraphen
gebührenfrei zu befördern sind’). Dieselben Vorschriften finden auch
auf die Eisenbahntelegraphen hinsichtlich der den Eisenbahndienst
nicht betreffenden Telegramme Anwendung‘). Die gegenwärtig be-
stehenden Gebühren können aher nur im Wege der Reichsgesetzgebung
erhöht werden und eine Ausdehnung der gegenwärtig bestehen-
den Befreiungen von solchen Gebühren ist nur auf Grund eines Reichs-
gesetzes zulässig’).
1) Portofreiheitsgesetz $ 2 u. $4. Vgl. dazu das Regulativ über die Porto-
freiheiten. Allgem. Dienstanweisung Abschn. III, Abt. 1, Anl. 6.
2) Zwischen dem Reich und der Reichspost kann es keine vermögensrechtlichen
Verpflichtungen geben. Wohl aber können tatsächlich aus den etatsmäßigen Fonds
der Reichsbehörden Portogebühren an die Postkasse gezahlt werden. vel. oben S. 85.
3) Reichsgesetz vom 29. Mai 1872 (Reichsgesetzbl. S. 167).
4) Postgesetz 8 27, Ziff. 2.
5) Diese Bestimmungen sind enthalten in der kaiserl. Verordnung vom
2. Juni 1877. Reichsgesetzbl. S. 524. Danach ist die Gebührenfreiheit beschränkt
auf die telegraphische Korrespondenz der regierenden Fürsten, deren Gemahlinnen
und Witwen; der Bevollmächtigten zum Bundesrat in Bundesratsangelegenheiten;
des Reichstages und der Reichsbehörden in reinen Reichsdienstangelegenheiten;
der deutschen Militär- und Marinebehörden in reinen Militär- und Marinedienst-
angelegenheiten; endlich Telegramme der Eisenbahnverwaltungen und Beamten an
vorgesetzte Beamte über vorgekommene Unglücksfälle und Betriebsstörungen. — Die
Gebührenfreiheit erstreckt sich nicht auf die baren Auslagen für Weiterbeförderung
über die Telegraphenlinien hinaus.
6) Reglement vom 7. März 1876, $ 10. Zentralbl. 1876, S. 158.
7) Telegraphengesetz 8 7. Auf den inneren Verkehr Bayerns und Württembergs
findet diese Anordnung keine Anwendung. Ebenda $ 15.