116 8 74. Das Eisenbahnwesen.
2. »Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den
Anschluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen
zu lassen.« Art. 41, Abs. 2. Diese Vorschrift gilt auch von den Staats-
verwaltungen und sie enthält ebenfalls eine Beschränkung der Landes-
hoheit der Einzelstaaten, nicht bloß eine Verpflichtung der Eisenbahn-
unternehmer. Denn wenn die neu angelegte Eisenbahn auf dem
Gebiete eines Nachbarstaats liegt und von dem letzteren konzessioniert
worden ist, so darf der Staat, welchem die Anschlußstation zugehört,
die Konzession zur Herstellung und zum Betrieb der Anschlußstrecke,
soweit dieselbe in seinem eigenen Gebiete liegt, nicht versagen oder
an erschwerende Bedingungen knüpfen !).
Eine Verpflichtung bereits bestehender Bahnen, die Mitbenutzung
einzelner Strecken, Bahnhöfe usw. seitens der neu anzulegenden An-
schlußbahnen zu gestatten, ist durch den Art. 41, Abs. 2 nicht begründet.
3. Kein Einzelstaat ist befugt, einem Eisenbahnunternehmer ein
Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Konkurrenz-
bahnen zu verleihen. Alle gesetzlichen Bestimmungen der Ein-
zelstaaten, welche bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein solches
Recht einräumen, sind durch die Verfassung aufgehoben ?). Soweit je-
doch ein solches Widerspruchsrecht die Eigenschaft eines erworbenen
Rechtes hat, d. h. auf speziellem Rechtstitel (Privileg, Vertrag) be-
ruht, bleibt es in Kraft. Art. 41, Abs. 3.
Diese drei im Art. 41 enthaltenen Rechtssätze haben auch für
Bayern Geltung.
Das Einf.-Gesetz zum BGB. bestimmt in Art. 109, daß die landesgesetzlichen Vor-
schriften über die Enteignung unberührt bleiben, trifft aber im Art. 52 und 53 in
einigen bestimmten Beziehungen Anordnungen. Hiernach geht die Reichsgesetzge-
bung von der Annahme aus, daß das Reich auf Grund des Art. 4, Ziff. 13 befugt ist,
das Enteignungsrecht allgemein zu regeln; sonst wäre Art. 109 überflüssig.
1) Seydel, Komment. S. 271 wendet dagegen ein, daß es dem Nachbarstaat
freistehen muß, die auf seinem Gebiet liegende Anschlußstrecke selbst zu bauen
und zu betreiben. Dies ist allerdings selbstverständlich. Wenn der Nachbarstaat den
Anschluß selbst bewirkt, so geht er noch über das hinaus, was der Art. 41, Abs. 2
von ihm verlangt; statt bloßer Duldung macht er eine Leistung. Aber wenn dieser
Staat dies nicht tut, so tritt die im Text hervorgehobene Duldungspflicht ein; sonst
könnte ein Staat die neu anzulegende Eisenbahn durch Versagung der Einmündung
in eine in der Nähe der Grenze gelegene Station geradezu betriebsunfähig machen.
Die Kontroverse ist übrigens ohne praktische Bedeutung, da die Anschlußfrage wohl
immer durch einen Staatsvertrag geregelt wird.
2) Zustimmend Schulze Bd. 2,S.204; G.Meyer-Dochow, Verwaltungsr. $ 108,
Note 13. Anderer Ansicht Seydel, Kommentar S. 272; Löning S. 621, Note3; Eger
S. 60, Note 7. Die Bestimmung ist vom Reichstage auf Grund eines Antrages des Abg.
Michaelis beschlossen worden. Er erläuterte seinen Antrag selbst dahin, daß er
„die bestehenden Verbote der Parallelbahnen aufhebt und die Wiedereinführung
derselben verbietet“, mit dem besonderen Hinweis auf das preuß. Eisenbahngesetz
(welches im $ 44 dem Unternehmer einer Eisenbahn einen 30jährigen Schutz gegen
Parallelbahnen zusicherte). Hiernach kann über die Tragweise dieser Bestimmung
kein begründeter Zweifel bestehen.