$ 72. Die Konsulate. 15
führt werden !. In strafrechtlicher Hinsicht ferner besteht ein eigen-
tümlicher Unterschied. 8 69 des Gesetzes vom 6. Februar 1875, wel-
cher Standesbeamte mit Geldstrafe bis zu 600 Mark bedroht, wenn sie
unter Außerachtlassung der sin diesem Gesetze« gegebenen Vor-
schriften eine Eheschließung vollziehen, ist auf Konsuln und diplo-
matische Vertreter nicht anwendbar, da 885, Abs. 1 erklärt, daß durch
dieses Gesetz die Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Mai 1870 nicht
berührt werden, das letztere Gesetz aber eine Strafbestimmung nicht
enthält. Konsuln und Gesandte, welche unter Verletzung der in den
88 3 ff. des Gesetzes vom 4. Mai 1870 enthaltenen Vorschriften Ehe-
schließungen vornehmen, können daher strafrechtlich nicht ver-
folgt werden, falls nicht der Tatbestand der 88 348, 349 des Reichs-
strafgesetzbuchs vorliegt. Auch 8 338 des Strafgesetzbuchs,, welcher
einen »Personenstandsbeamten« mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren be-
droht, wenn er wissend, daß eine Person verheiratet ist, eine neue Ehe
derselben schließt, ist auf Konsuln und diplomatische Vertreter, denen
vom Reichskanzler die Ermächtigung zur Vornahme von Ehe-
schließungen erteilt ist, anwendbar, da sie unter die Kategorie von
»Personenstandsbeamten« fallen ?).
Die Ausübung dieses Hoheitsrechtes setzt voraus, daß der Staat,
in dessen Gebiet der Konsul seinen Amtsbezirk hat, die Vornahme von
Eheschließungen und die Beurkundung des Personenstandes durch
Vertreter auswärtiger Staaten überhaupt duldet. Denn der Grund-
satz locus regit actum findet auch auf die Eheschließung Anwendung).
Wenn ein Staat für alle innerhalb seines Gebietes zu schließenden
Ehen, gleichviel ob die Verlobten Staatsangehörige oder Ausländer sind,
eine bestimmte Form der Eheschließung obligatorisch vorschreibt, so
kann das Gesetz eines anderen Staates daran nichts ändern‘). Doch
ist es selbstverständlich, daß eine Ehe, welche Reichsangehörige in
1) Gesetz vom 6. Februar 1875, 8 16.
2) Daß die Handlung im Auslande begangen und der Täter — wenn er Wahl-
konsul ist — möglicherweise kein Reichsangehöriger ist, schließt seit der Novelle zum
StGB. vom 26. Februar 1876 die Strafverfolgung nicht aus, da nach $ 4, Ziff. 1 die
im Auslande von Reichsheamten verübten Verbrechen und Vergehen im Amte
verfolgt werden können.
3) v. Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts (1889) I, S. 460;
Esperson II, Nr. 207, S. 127 fg.; Hinschius, Kommentar (2. Aufl.), S. 158. Vgl.
das Urteildes Reichsgerichts, Entsch. in Zivilsachen Bd. 9, S. 397 ff.; Ende-
mann, Bürgerl. Recht Bd. 1I,2, $ 155a.
4) Das Deutsche Reich selbst hat diesen Grundsatz im 8 41 des Gesetzes vom
6. Februar 1875 sanktioniert: „Innerhalb des Gebietes des Deutschen
Reiches kann eine Ehe rechtsgültig nur von dem Standesbeamten geschlossen
werden.“ Einf.-Ges. zum BGB. Art. 13, Abs.3. Vgl. auch Hinschius.a.a. O. S 477
a. E.; v. Sicherer, Personenstand und Eheschließung in Deutschl. S. 346. Eine
Ausnahme ist indessen durch einige Konsularverträge geschaffen, durch welche den
Konsuln gewisser Staaten gestattet wird, Eheschlielsungen unter Angehörigen ihrer
Staaten im Reichsgebiet vorzunehmen.