208 8 78. Die Gewerbepolizei.
betrieb, einschließlich des Versicherungswesens« (Art. 4, Ziff. 1)}),
Nachdem der Norddeutsche Bund durch das Gesetz vom 8. Juli 1868
(Bundesgesetzbl. S. 406) zunächst vorläufig die wesentlichsten Be-
schränkungen der Gewerbefreiheit beseitigt hatte, wurde eine umfas-
sende Kodifikation des polizeilichen Gewerberechts durch die G wer-
beordnung vom 21. Juli 1869 erzielt. An der Spitze dieses Ge-
setzes steht der Grundsatz:
»Der Betrieb eines Gewerbes ist jedermann gestattet, soweit
nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen
vorgeschrieben oder zugelassen sind.«
Hierdurch sind nicht nur alle landesgesetzlichen und gewohnheits-
rechtlichen Beschränkungen der Gewerbefreiheit aufgehoben ?), sondern
es ist auch den Einzelstaaten die Befugnis entzogen, durch autonomi-
sche Anordnungen solche Beschränkungen einzuführen, wofern nicht
die Gewerbeordnung selbst auf die Landesgesetze verweist’). Auf
recht erhalten sind insbesondere die Bestimmungen der Landes-
1) Bayern hat in dem Vertrage vom 23. November 1870, Ziff. IV die Zusiche-
rung erhalten, daf wenn sich die Reichsgesetzgebung mit dem Immobiliarver-
sicherungswesen befassen sollte, die vom Reiche zu erlassenden gesetzlichen
Bestimmungen in Bayern nur mit Zustimmung der bayerischen Regierung Geltung
erlangen können.
2) Unberührt hiervon bleiben diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen privat-
rechtlichen und strafrechtlichen Inhalts mit Einschluß der Polizeiverordnungen, welche
den Gewerbebetrieb zwar Beschränkungen unterwerfen, welche aber allgemeine
Geltung auch für solche Personen haben, die kein Gewerbe betreiben. Dahin gelıö-
ren insbesondere die Bauordnungen und die gesundheits- und sittenpolizeilichen Vor-
schriften; die Gesetze über Benutzung der Wasserkräfte usw. Denn solche Gesetze
sind Beschränkungen der allgemeinen Handelsfreiheit, von welcher die
Gewerbefreiheit nur ein Anwendungsfall ist. Beschränkungen der Gewerbefreiheit
als solcher sind nur diejenigen Rechtsvorschriften, welche den Betrieb eines Gewer-
bes zur Voraussetzung haben. Vgl. die eingehenden Erörterungen von Landmann],
S. 70fg. 73. Aus diesem Grunde bleiben hier auch die zahlreichen Reichsgesetze un-
berücksicht, welche zwar in den Gewerbebetrieb tief eingreifen und auf Gewerbe-
treibende hauptsächlich Anwendung finden, einen Gewerbebetrieb aber nicht notwen-
dig voraussetzen oder wenigstens andere Zwecke, wie die polizeiliche Rege-
lung des Gewerbewesens verfolgen. Dahin gehören außer zahlreichen Bestimmungen
des Strafgesetzbuchs und der Steuer- und Zollgesetze namentlich die Gesetze über
den Verkehr mit Nahrungs-, Gebrauchs- und Genußmitteln, sowie
über den gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen u. dgl.; das Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (Reichsgesetzbl. S. 499) u. a.
3) Es ergibt sich dies aus der Fassung des eben zitierten $ 1, sowie aus den
Bestimmungen der Gewerbeordnung, welche ausnahmsweise „weitergehende landes-
gesetzliche Beschränkungen“ zulassen. 8 4la, Abs. 2; 105h, Abs. 1; 8 144, Abs. 1.
Diese Ausnahmen bestätigen die Regel, daß es den Einzelstaaten nicht gestattet ist,
den zahlreichen reichsgesesetzlichen Beschränkungen des Gewerbebetriebs eigenmäch-
tig auch noch landesgesetzliche hinzuzufügen. Es würde dies auch mit der Tendenz
der Gewerbeordnung ein einheitliches Gewerberecht für das ganze Bundesgebiet zu
schaffen, nicht übereinstimmen. Vgl. auchG. Meyer-Doclow, Verwaltungsrecht,
S. 4135; Zorn Il, S. 6; Landmann ], S. 57; Seydel, Bayer. Staatsrecht III,
S. 899.